"Wir plündern einen Wertespeicher, den unsere Vorfahren angehäuft haben und besitzen wenige Institutionen, die glaubwürdig für Werte eintreten."

Foto: DER STANDARD/Hendrich

"Gewalt und Sex bewegt niemanden mehr, aber bei religiösen Tabus regen sich die Leute noch auf, das hat Zündstoff."

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"Die Kirchen haben sich darauf verständigt, einander nicht gegenseitig die Mitglieder abzuwerben."

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"Es kommt an, wenn man sagt: 'Abendland in Christenhand', auch wenn die Menschen oft nicht wissen, was damit gemeint ist", sagt der evangelische Bischof Michael Bünker im Gespräch mit derStandard.at. Vermehrt werde Religion als emotionaler Aufreger von der Politik missbraucht – "Das hat Zündstoff". Die Fragen stellte Saskia Jungnikl.

derStandard.at: Sie sagten bei Ihrem Amtsantritt, Sie wollen "ein politischer Bischof" sein. Wie weit soll und darf sich Kirche in politische Belange mischen?

Michael Bünker: Auf der einen Seite tritt Religion mit politischen Konsequenzen auf, zum Teil mit unerfreulichen Begleiterscheinungen wie dem Fundamentalismus und auf der anderen Seite sehen wir, dass die Politiker zunehmend ihre Botschaften mit religiösen Inhalten aufladen, weil das besonders gut emotionalisiert. Gewalt und Sex bewegen niemanden mehr, aber bei religiösen Tabus regen sich die Leute noch auf, das hat Zündstoff. Es kommt an, wenn man sagt: "Abendland in Christenhand", auch wenn die Menschen oft nicht wissen, was damit gemeint ist.

derStandard.at: Religion wird als emotionaler Aufreger missbraucht?

Bünker: Ja. Und gerade als Protestant sagt man sich, Politik sollte eine Sache der Vernunft und nicht der Emotionalität sein. Wenn Politik sich nur mehr in Emotionalitäten erschöpft und die Schattenseiten der menschlichen Emotion bedient, dann muss man kritisch sein.

derStandard.at: Dient die Kirche als identitätsstiftende Institution gegen 'die Fremden'?

Bünker: Es ist erwiesen, dass Menschen, die durch Migration in einen neuen Kontext kommen, ihre Religion als Identitätsanker verwenden. Da werden anatolische Zuwanderer plötzlich muslimischer als sie es zu Hause jemals waren oder philippinische Hausangestellte, die nach New Orleans kommen, sind katholischer als zuvor. Dieser religiöse Durchlauferhitzer gibt einem in einer Zeit, wo alles fremd ist, ein wenig Halt, zumindest bis neuer Halt gefunden ist.

derStandard.at: Aber wenn Menschen einmal an etwas Halt gefunden haben, wechseln sie selten, oder?

Bünker: Da muss man schauen, dass Integration nicht vollkommen versagt. Der Mörder des Theo van Gogh konnte nicht einmal arabisch, das heißt er hat nie den Koran gelesen. Das war ein Pseudo-Fundamentalist, dem Religion als Vorwand gedient hat. Denn offensichtlich hat die Integration nicht funktioniert.

derStandard.at: Und es ist die Aufgabe des Staates hier anzusetzen?

Bünker: Das würde ich mir nicht unbedingt wünschen. Es ist Aufgabe der Religionen selbst. Das ist der protestantische Anspruch: Wir leisten es uns, an uns Kritik zu üben – die Kirche ist immer zu reformieren.

derStandard.at: Sie sind dafür, dass Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden, Ethikunterricht erhalten. Doch das eine ist nicht das andere, oder?

Bünker: Das ist richtig. Ich werde mich immer für Religionsunterricht aussprechen, weil junge Leute nicht über Religion unterrichtet werden, sondern mit jemandem reden, der eine persönliche Überzeugung hat. Wenn sich jemand abmeldet – und das steht jedem frei -, stellt sich die Frage, ob sich der Staat aus der Verantwortung stehlen kann, etwas an einer sittlichen und ethischen Moral mitzugeben. Es ist nicht gut, wenn jemand 12 Jahre in die Schule geht und nichts über Fremdenliebe und Achtung vor dem Leben hört.

derStandard.at: Wie wichtig ist die Kirche als Wertebringer?

Bünker: Das ist eine schwierige Frage. Wie Ernst-Wolfgang Böckenförde gesagt hat: "Der moderne Verfassungsstaat lebt von Vorraussetzungen, die er selbst nicht herstellen und garantieren kann". Ich glaube, wir alle leben momentan auf Pump. Wir plündern einen Wertespeicher, den unsere Vorfahren angehäuft haben und besitzen wenige Institutionen, die glaubwürdig für Werte eintreten. Die Kirchen, die das könnten, haben bei jungen Menschen an Glaubwürdigkeit eingebüßt.

derStandard.at: Viele orientieren sich an der Politik, wo der Ton eher ins Negative abrutscht. Da kommen die Kirchen als Gegengewicht nicht laut genug rüber.

Bünker: Menschen wollen klare Aussagen, aber keine rechtspopulistischen. Die Kirchen wären deutlichere Botschaften schuldig. Die aber führen zu Konflikten und die sind in Österreich nicht beliebt. Es mangelt prinzipiell vor allem in der Politik an Mut zur Ehrlichkeit und zur Selbstreflexion.

derStandard.at: Die Regierung hat das Fremdenrecht verschärft – in Zukunft werden vermehrt Menschen in Schubhaft genommen werden. Erst vor wenigen Tagen ist ein Schubhäftling während seines Hungerstreiks gestorben.

Bünker: Es gibt zu viele Menschen unter zu schlimmen Bedingungen in Schubhaft. Warum Menschen in Haft genommen werden, die ein Verwaltungsverfahren haben, kann man mir mit den Rechtsgrundlagen nicht erklären. Außerdem ist es mir ein Rätsel wieso das der Polizei unterstellt ist und nicht dem Justizministerium. Die Kirchen wollen in Zukunft ihre Betreuungstätigkeit bei Schubhäftlingen vermehrt wahrnehmen. Es wird im Herbst eine Enquete geben, bei der beschlossen werden soll, wie man mit dem grundrechtlich verfügten Recht auf Seelsorge helfen kann. Wir lassen uns nicht aussperren und werden nicht zulassen, dass die einzigen, die mit den Menschen in Kontakt treten dürfen, dem Innenministerium gefällig sind.

derStandard.at: Sie haben sich im Fall Arigona Zogaj dafür ausgesprochen, dass Menschen, die unverschuldet längere Zeit in Österreich sind, ein Bleiberecht kriegen. Ab welchem Zeitraum?

Bünker: Der europäische kirchliche Konsens sind fünf Jahre. Und bei den Zogajs: Da ist eine Familie durch die Behörden ruiniert worden.

derStandard.at: Erhard Busek und andere prominente Vertreter der katholischen Kirche fordern im Rahmen der Laien-Initiative bestimmte Punkte ein, die bei der evangelischen Kirche umgesetzt sind. Rufen Sie die dann an und fragen Sie, ob sie nicht übertreten wollen?

Bünker: Ich freu mich über alle, die evangelisch werden. Und in vielen Bereichen ist die evangelische Kirche den Menschen näher: Empfängnisverhütung, Sexualethik, Gleichberechtigung der Frauen usw. Aber die Menschen sollen selber entscheiden. Interessant ist, dass manchmal Menschen aus der evangelischen Kirche austreten, weil in der Katholischen Unruhe herrscht, wie bei der Nominierung von Gerhard Maria Wagner zum Linzer Weihbischof.

derStandard.at: Wäre eine deutlichere Abgrenzung zur katholischen Kirche nicht von Vorteil?

Bünker: Die Kirchen haben sich darauf verständigt, einander nicht gegenseitig die Mitglieder abzuwerben. Aber die Frage nach der Abgrenzung ist bei uns eine immer offene. Warum ich zögere ist: Führt dieses deutlichere Profilieren nicht zu einem negativen Ton? Wir haben keinen Papst, keine Heiligen und so weiter. Stattdessen müsste man es umdrehen und sagen: Wir haben mehr Freiheiten, Demokratie, Gleichberechtigung,...

derStandard.at: Sie haben einmal gesagt, Sie würden gerne "eine Bibelstunde mit Politikern machen". Welche Politiker würden Ihnen denn da so vorschweben und welche Bibelstellen?

Bünker: Mit einem Kärntner BZÖler würde ich gerne über den Heimatbegriff sprechen. Mit einem SPÖ-Politiker anhand einer Bibelgeschichte nachdenken, ob es eine Hoffnung für das Diesseits geben kann, wenn man keine Jenseitshoffnung hat. Mit einem ÖVPler würde ich mich über "Gott oder Mammon" unterhalten. Mit einem FPÖ-Politiker über "Liebe einen Fremden, wie dich selbst". Und mit einem Grünen über Baupläne für die Arche – die drohende ökologische Katastrophe.

derStandard.at: Sollen Deserteure der Wehrmacht in das Anerkennungsgesetz aufgenommen werden?

Bünker: Ich habe den Ehrenschutz für die aktuelle Ausstellung übernommen. Den Opfern muss nach sechzig Jahren endlich Gerechtigkeit widerfahren.

derStandard.at: Apropos späte Gerechtigkeit: Sollte mittlerweile nicht der Bann gegen Martin Luther durch die katholische Kirche aufgehoben werden?

Bünker: Natürlich. Ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, heißt, die ungerechten Urteile gegen ihn aufzuheben. Bis zum Jahr 2017 – 500 Jahre Reformation – wird das noch sehr spannend werden. Und für uns Protestanten wird es wichtig sein zu sagen: Wo war Luther fehlerhaft? Wo hat er sich vergaloppiert: gegen die Bauern, gegen die Juden? Also wir sind schon gut beraten dabei zu sagen: Wir brauchen keine Heiligen. (Saskia Jungnikl, derStandard.at, 18.9.2009)