Das Festspielhaus St. Pölten ist ein Spiegelbild der Gesellschaft in der wir leben, ein Raum grenzenloser Phantasie, bekannter und unbekannter Hörräume, alter und neu zu entdeckender Welten. Genauso wie es Visionäres sichtbar macht, ist es jetzt und hier, real und greifbar. Es ist aneckend und widersprüchlich, zärtlich und einfühlsam, aufdringlich und bissig. "Das sind wir auch, das sind wir alles", meint Joachim Schloemer, "so heterogen, so widersprüchlich, so verbunden, so verliebt."
Viel Neues wird man im Rahmen der neuen Saison im Festspielhaus antreffen, anstoßen und anecken wird man, diskutieren wird man und entdecken. Man wird aber auch Vertrautem begegnen. "Improvisiertes sowie bis in die letzte Note Vorbereitetes. All das zu zeigen, ist wichtig. Nur im Kontext dieser Kräfte entstehen Antworten zu den Fragen, was uns ausmacht, wie wir heute miteinander leben können, unter welchen Voraussetzungen wir uns an einen Tisch setzen, um zu reden, die Auseinandersetzung zu suchen, Lösungen zu finden, oder um einfach nur beisammen zu sein. Ich würde sagen: Wir haben keine Zeit zu verlieren." so Joachim Schloemer.
Vielseitiges Rahmenprogramm
Gemeinsam mit zahlreichen KünstlerInnen, die man im Programm der kommenden drei Saisonen immer wieder antreffen wird, bricht das Festspielhaus St. Pölten unter der Leitung Joachim Schloemers auf zu neuen Ufern. Die spannende und ereignisreiche Reise beginnt mit einem zweitägigen Fest am 25. und 26. September 2009 im und rund um das Festspielhaus.
Den Anfang machen am 25. September neben einer Parkour-Demonstration, die Eröffnung der vom Berliner Architekten- und Künstlerkollektiv Raumlabor mitkonzipierten "Verbotenen Stadt", einem auf der Südseite des Festspielhauses errichteten Open Air "Raum", der im Laufe der kommenden Saisonen für diverse Aktivitäten und Veranstaltungen genutzt wird - sowie jene des neu adaptierten Café Publik, für dessen ganzjährige Bespielung Bauchklang Frontmann Andi Fränzl verantwortlich zeichnet. Der große, genreübergreifende Gala-Abend, inklusive der Eröffnung der "Box", findet am Abend des 26. September, begleitet von einem vielseitigen Rahmenprogramm, statt und bietet eine Einblick in die breite Variation des künstlerischen Kurses, den das Festspielhaus unter der Leitung Joachim Schloemers einschlagen wird.
Labor Kolpakov
Die Musiktradition der Russischen Rroma stützte sich hauptsächlich auf Chöre. Diese Ensembles, oft bestehend aus mehr als zwanzig SängerInnen und einigen Gitarristen und TänzerInnen - hatten ihre Blüte im Russland des 19. Jahrhunderts, finanziell ermöglicht von der Aristokratie und gefeiert von Künstlern. Während der Revolution flohen viele nach Westeuropa oder weiter weg und in der Zeit des Kommunismus starb die Tradition trotz einiger Versuche, Teile davon am Leben zu erhalten, langsam aus.
In einem Projekt zur Bewahrung eines "World Cultural Heritage" wird die vergessene und fast verlorene Tradition Russischer Rroma Chöre unter Leitung des legendären Sängers und Gitarristen Sacha und seines Neffen Vadim Kolpakov (die u.a. Madonna auf ihrer World Tour Sticky & Sweet 2008 begleiteten) wiederbelebt und in Form von Aufführungen und Aufnahmen erhalten. Ein erster Teil der Arbeit wird zur Saisoneröffnung des Festspielhaus St. Pölten als Labor mit Abschlusskonzert am 26. September 2009 stattfinden. Ein zweiter Teil - mit Aufführungen und Aufnahmen - soll im November 2010 während des Chorfestivals ebenfalls im Festspielhaus St. Pölten stattfinden.
Box
"Die Box ist ein Ort der kleineren Segmente, eher wie ein Club oder eine Kammerbühne, der als Schnittstelle zur großen Bühne aufgebaut wird. International wie regional bekannte KünstlerInnen werden hier ebenso spielen, wie junge, gerade aufstrebende MusikerInnen und TänzerInnen. Auch Laborpräsentationen mit Amateuren und Wissenschaftlern in Zusammenhang mit den oben genannten werden hier stattfinden. Die Box steht sehr für meine Arbeitsweise. Ich möchte heterogenes an einem Ort zusammenführen, Menschen an einen Ort bringen, der klein genug ist, dass man sich sehr nahe kommen kann und groß genug um noch Bühne sein zu können. Kurz: ein idealer Ort des Kennenlernens," charakterisiert Joachim Schloemer den ehemaligen Haydn-Saal des Festspielhaus St. Pölten.
Parkour
Sie fliegen über Dächer, sie gehen an Wänden hoch, sie überwinden sämtliche Hindernisse auf kürzestem und effizientestem Weg und ausgerechnet in St. Pölten gibt es bereits eine der vitalsten Parkour-Gemeinden in ganz Österreich. Parkour ist eine Art der Bewegungskunst, in der es darum geht, Hindernisse jeglicher Art im urbanen oder natürlichen Raum möglichst effizient zu überwinden.
ParkourläuferInnen konzentrieren sich physisch, emotional und geistig auf das Überwinden dieser Hindernisse, wobei der respektvolle Umgang mit der "Gemeinschaft" und der Umgebung dabei eine besonders wichtige Stellung einnimmt. Brückenschläge zum künstlerischen Programm des Festspielhauses sind durch die langfristige Kooperation mit der in St. Pölten beheimateten Austrian Freestyle Foundation (AFF) gewährleistet. Workshops im Rahmen der Kunstvermittlung des Festspielhauses sowie regelmäßige Trainings und Showings werden im Festspielhaus stattfinden und frei zugänglich sein. Die jungen Traceure (französisch: "der den Weg ebnet" oder "der eine Spur legt") werden auch in Opernaufführungen und Tanzstücke mit einbezogen.
Café Publik
Joachim Schloemer und sein Team eröffnen im Rahmen des Eröffnungsfestes am 25. September 2009 das Café Publik im Festspielhaus mit völlig neuem Gesicht. Programmatisch in die Hände von Andreas Fränzl - Leadsänger von Bauchklang, DJ, Obmann des Kulturvereins LAMES und Ikone der alternativen Szene St. Pöltens - gelegt, soll das Kaffeehaus zur Begegnungsstätte unterschiedlicher kultureller Ausdrucksformen werden.
Kleine Konzerte, Poetry Slams, Diskussionsrunden, wechselnde Ausstellungen und DJ-Lines sowie Tango und Salsa Veranstaltungen werden Bewegung ins Café Publik bringen. Die regionalen Szene bekommt gemeinsam mit internationalen KünstlerInnen eine neue, urbane Plattform in St. Pölten: die perfekte Mischung aus Café, Arbeitsstätte, Bühne, Künstlertreffpunkt und Barbetrieb am Abend. Neben dem von Andreas Fränzl kuratierten Programm, das am 10. Oktober 2009 offiziell mit einer Party startet, bildet das Café Publik die Verbindung zu den Festspielhaus-Festivalthemen.
Raumlaborberlin
Das Reisen verlangsamen, wieder genau hinschauen auf die Welt, forschen, entdecken. Aufbrechen zu einer Expedition, wie es Humboldt bereits vor mehr als 200 Jahren machte: ebenso intensiv geplant und vorbereitet. Im Rahmen der Eröffnung der Saison 2009/2010 wird am Rathausplatz in St. Pölten die "Gesellschaft zur Planung und Durchführung der Expedition von St. Pölten in die Welt" gegründet.
KünstlerInnen
Julia Jones, Musikalische Leitung: Die geborene Engländerin Julia Jones ist seit November 2008 Chefdirigentin des Teatro Nacional de São Carlos in Lissabon und des Nationalen Sinfonieorchesters von Portugal. Ihre ersten Anstellungen hatte sie am Theater Ulm und am Staatstheater Darmstadt, wo sie sich ein umfangreiches Repertoire in der deutschen und italienischen Oper aneignete. Nachdem sie eingeladen wurde, 1996 eine Neuproduktion von Un Ballo in Maschera am Theater Baasel zu dirigieren, übernahm sie von 1998-2002 den Posten der Chefdirigentin des Hauses. Ihre Einstudierungen von Idomeneo, Otello, Macbeth, Eugen Onegin, Lohengrin und Der Rosenkavalier waren große Erfolge.
Etienne Abelin, Violine Artist in Residence und Musikkurator im Rahmen der Saison 2009/2010: Der junge Schweizer Geiger Etienne Abelin lebt in Basel und ist Mitglied in Claudio Abbados Orchestra Mozart Bologna sowie dem ebenfalls von Abbado gegründeten Lucerne Festival Orchestra. Abelin ist ein äußerst vielseitiger Musiker, vor allem aber ist er Grenzgänger zwischen den Stilen und Spielweisen, der sich intensiv mit Alter und Neuer Musik und deren Deutungen auseinandersetzt.
Gemeinsam mit Joachim Schloemer hat er bereits ein Projekt im Rahmen des Lucerne Festival 2007 erarbeitet, das gewissermaßen im Rahmen von "Barock 21" im Festspielhaus St. Pölten seine Fortsetzung findet. Neben seinen Auftritten als Solist und in Ensembles, konzipierte er diverse Produktionen und war als Musikkurator auch an der Erstellung des Musikprogramms der Saison 2009/2010 beteiligt.
Victor Morales, Videokünstler: Victor Morales, venezolanischer Videokünstler, studierte Rechtswissenschaften in Caracas, wo er für die Theatergruppe der Universität schrieb und Regie führte. Weiters graduierte er als Master of Arts on Technology an der New York University. Heute lebt er in Europa, arbeitet auf der ganzen Welt und beschäftigt sich neben diversen Regietätigkeiten, Design und Animation, vermehrt mit Videospielen und den vielfältigen künstlerischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.