The 39 Clocks, wurschtig bei der Arbeit: willkommen in der Internationalen des Weltschmerzes!

 

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Die niedersächsische Landesmetropole Hannover mit ihren Kaufhöfen und Klinkerbauten ist kein Ort, dem ein besonders widersetzliches Lebensgefühl baulich eingeschrieben wäre. Wer hier rund um 1980, also im Nachhall der Punk-Bewegung, Musik machen wollte, musste die benötigten Formulare für den Eintritt in den Club der Coolness erst mühsam importieren. Christian Henjes und Jürgen Gleue, zwei bleiche, junge Herren aus der Hannoveraner Nordstadt, schlossen sich prompt der Internationalen des Trash-Nihilismus an.

Für Infektionskrankheiten zeichnete in diesen schön schwermütigen, immer irgendwie verregneten Jahren der lokale Record-Dealer verantwortlich. "Coolness" dient in freudlosen Weltgegenden als Alleinstellungsmerkmal. Das von allen guten Geistern verlassene Menschenkind muss sich selbst ermächtigen. Wer eine Gitarre richtig herum halten kann, gilt auch schon als aufgenommen im Club der Initiierten! Der angehende Beatmusiker muss nur die Codes kennen: Velvet Underground; The Stooges; das Beatbox-Pluckern der New Yorker Rockabilly-Randalierer Suicide.

Die Einfuhrbestimmungen lagen auf der Hand: Die Anti-Erzählung der Industriemoderne ist überall die gleiche. Eine Mietskaserne in Manchester verströmt schließlich dieselbe Trost- und Ortlosigkeit wie ein subventionierter Siedlungsbau in Niedersachsen. The 39 Clocks waren das unwahrscheinliche Duo aus der Pampa: Verstärker auf Anschlag gedreht, erklärt man die eigene fragile Haltlosigkeit zur Produktivkraft. "Psychedelia" wird tüchtig mit LSD angeschoben. Man spielt den gnadenlosesten Twäng auf verstimmten Kaufhof-Gitarren: Psycho Beat! In Deutschland musste man eine Band früher mindestens nach einem Frühromantiker benannt haben, um überregional eine lobende Erwähnung zu ernten: Novalis, Hölderlin, Wallenstein. Bands wie Grobschnitt spielten 24-minütige Suiten, komplett nur mit Mondphasenverschiebung in Minute 17:34!

Punk gab es immerhin schon: Rotzkotz, Hansaplast, Pyrolator. Parallel dazu sangen im Fernsehen frisch geföhnte Pickelbrüder über das Gasgeben und Spaß-haben-Wollen. The 39 Clocks spielten ihre Beat-Monster derweil in evangelischen Pfarrhofkellern, mit dem Rücken zum Publikum. Die Ohren von Juso-Vertretern begannen zu bluten. Ein Lied, das auch auf ihren Erstling Pain It Dark 1981 Eingang fand, heißt: Shake the Hippie. J.G. 39 und C.H. 39 - so nannten sich die 39 Clocks - hatten obendrein den Englischleistungskurs in der Realschule geschwänzt. Man sprach "Denglisch", in niedersächsische Watte gepackt: "Absent in my mind / absent in my brain ..."

Pain It Dark, die ursprünglich bei No Fun Records verlegte Debütplatte, ist so herzzerreißend schön wie die erste Buzzcocks-EP - wie das erste Rendezvous hinter der Schulkantine: hängeschultrig, mit eingekniffenen Daumen in den Hosentaschen. Ab und zu gellt ein fettiges Saxofon durch diese Beat-Wüsten. Synthesizer finden nur dann Gnade, wenn sie verstimmt sind. Der Bass zuckt in traurigen Linien durch die Strophen; ein bisschen Distortion kleidet die Songskelette mit Wärmedämmplatten aus.

The 39 Clocks wurden natürlich keine Stars, obwohl Diedrich Diederichsen für sie warb, Alfred Hilsberg sie zu seinem "What's so funny about"-Label herüberzog. Nach 1987 ließ man es gut sein. Coolness ist ein Attribut mit strenger Aufbrauchfrist. Hannover bekam ein paar Jährchen später eine Weltausstellung aufgebrummt. Von den 39 Clocks hat man nie wieder etwas gehört. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.9.2009)