Die Gesundheit ihrer Mitarbeiter hatte die ÖBB genau im Blick.

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Kritiker sprechen von rechtswidrigen Vorgängen.

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Die ÖBB sei im Vergleich zu gut geführten Bahnen unproduktiv und müsse mittelfristig "20 Prozent des Personals abbauen", meint der Verkehrsexperte Sebastian Kummer im Gespräch mit dem STANDARD. Solange das Management politisch besetzt sei, rechnet er mit keiner Effizienzverbesserung. Wegen der explodierenden Schulden sei eine Entschuldung "in drei bis fünf Jahren programmiert", meint der WU-Professor.

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Die Aufklärung des Skandals um illegal gespeicherte medizinische Diagnosen bei der ÖBB läuft chaotischer und schleppender an, als die Kommunikation des Staatsbetriebs in den vergangenen zwei Wochen. Die vor eineinhalb Wochen eingesetzte Untersuchungskommission hat sich am Freitag - entgegen der von ÖBB-Sprechern verbreiteten Information - erst konstituiert. Neo-ÖBB-Personalchef Emmerich Bachmayer (er wurde im Juli installiert und ersetzt Franz Nigl, den Geschäftsführer der ÖBB-Dienstleistungsgesellschaft mit Prokura in 16 ÖBB-Gesellschaften) gestand in einer danach eilig einberufenen Pressekonferenz ein, dass bis dato keine einzige ÖBB-Konzerngesellschaft vollständig durchleuchtet wurde.

Aber: Er geht davon aus, dass im Konzern nicht mehr als 4000 der 42.000 Beschäftigten betroffen sind. Um diese zehn Prozent später zu relativieren: Bei den 11.000 Beschäftigten der ÖBB-Betrieb-AG seien "nur" an die tausend illegale Diagnoseakten angelegt worden - und davon sei ein Großteil von den Betroffenen selbst bekannt gegeben worden. Von flächendeckender illegaler Datenspeicherung könne keine Rede sein. "Es wurden keine Datenformate über jeden einzelnen Mitarbeiter angelegt, aber "hinunter bis zu den Linienvorgesetzen gescannte Papierformate". Sie würden nun "händisch unkenntlich gemacht", versicherte Bachmayer. Die Maßnahmen zur Verringerung von Fehlzeiten in den aktienrechtlich selbständigen ÖBB-Teilkonzernen seien sehr unterschiedlich gewesen. Zu unterscheiden sei außerdem zwischen Protokollen so genannter Krankenstandsrückkehrgespräche und "Beförderungsblättern", die auch den Betriebsräten vorgelegt wurden.

Rechtswidrig

"Hier sind Dinge passiert, die schlicht rechtswidrig sind", stellte der für die ÖBB-Untersuchungskommission engagierte Datenrechtsexperte Wolfgang Brodil fest. "Es kann nicht jeder Mitarbeiter informationsrechtlich ausgequetscht werden, das verbietet das Datenschutzgesetz."

Wenn überhaupt, dann mit Verspätung sind - trotz erdrückender Beweise - Konsequenzen für die Manager zu erwarten. Weder Bachmayer noch ÖBB-Holding-Chef Peter Klugar können in Krankenstandskontrollen durch das Unternehmen oder illegaler Medizindatenspeicherung eine eisenbahndienstrechtliche Verfehlung erkennen. Daher seien auch keine Disziplinarmaßnahmen gegen oder Suspendierungen von Personal-Managern und/oder Geschäftsführern wegen Verdachts auf fortgesetzte Verletzung der Persönlichkeitsrechte, des Datenschutzes, der Sozialversicherungsgesetze geplant.

Warum? Weil kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten nachzuweisen sei, so Bachmayer. Datenschutzverletzungen "aus Übereifer" seien untragbar, stellten laut ÖBB-Dienstordnung aber keine Verletzung der Dienstpflicht dar. Ohne Folgen bleibt demnach auch „das Drangsalieren" von Mitarbeitern zwecks Informationspreisgabe. Die Frage, ob Nötigung vorliege, werde in Arbeitsgerichtsverfahren geklärt. Rechtlich unklar ist laut Brodil, "ob es per se rechtswidrig ist, wenn ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer selbst genannte Diagnoseangaben aufzeichnet".

Klugar betonte, "dass bei der Umsetzung der Personalmaßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit Fehler passiert sind, die ich in höchstem Maße bedaure". Er selbst sei als Vorstandsdirektor aber nur für Fahrdienst und Infra-Services der ÖBB-InfrastrukturBetrieb-AG zuständig gewesen, nicht für Personal. Er sei auch 2008 nie damit konfrontiert worden. 

Dem widerspricht Eisenbahngewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl, selbst bereits seit Mai 2008 informiert. Da Versetzungen und Beförderungen der Zustimmung der Betriebsräte bedürfen, müssten selbige die Einträge auf den "Beförderungsblättern" gesehen haben. Verkehrsministerin Doris Bures (SP) forderte ÖBB-Holding-Aufsichtsratschef Horst Pöchhacker auf, zur Aufklärung der "rechtswidrigen Erfassung von Krankendaten in der ÖBB", wie sie es nannte, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. (Luise Ungerboeck, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.9.2009)