Kinder in einem Lager für "Ostarbeiter" in Leoben - genau das wollten die NS-Behörden verhindern.

Foto: Peter Ruggenthaler / BIK

"Unter Akademikern war der Anteil an NS-Sympathisanten generell groß", weiß die Politikwissenschafterin und Medizinhistorikerin Gabriele Czarnowski. "Besonders ausgeprägt war diese Affinität an der Grazer Universitätsfrauenklinik, wo bis auf einen sämtliche Dozenten und Assistenzärzte entweder NSDAP-Mitglieder oder dem Nationalsozialismus gegenüber zumindest sehr positiv eingestellt waren."

Czarnowski beschäftigt sich seit Jahren mit der Rolle der Medizin im Nationalsozialismus - zuletzt im Rahmen der Arbeitsgruppe "NS-Medizin in der Steiermark" am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie in Graz. In dem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt (Leitung: Éva Rásky) über die Geschichte der Grazer Universitätsfrauenklinik zwischen 1938 und Kriegsende hat die Forscherin Daten zusammengetragen, die die Auswirkungen der NS-Ideologie mit ihrem Bemühen um "Rassenhygiene" in beklemmender Weise dokumentieren.

"Kurz nach dem 'Anschluss' im August 1938 wurde Klinikchef Hans Zacherl aus politischen Gründen entlassen", berichtet die Forscherin. Sein Nachfolger wurde der Gynäkologe Karl Ehrhardt aus Frankfurt am Main, seit 1933 NSDAP- und SS-Mitglied, der sich als Hormonforscher einen Namen gemacht hatte und sich außerdem mit der "Placentographie" und der "Fetographie" beschäftigte.

"Ehrhardt beherrschte die in Graz praktizierten gynäkologischen Operationsmethoden der Wiener Schule nicht", erklärt Gabriele Czarnowski. "Hinzu kamen diagnostische Unzulänglichkeiten und ärztliche Kunstfehler auch in der Geburtshilfe. Das führte bald zu massiven Konflikten mit seinen österreichischen Assistenten und trug ihm zwei Untersuchungen ein, die jedoch aufgrund seiner politischen Absicherung folgenlos blieben, während die Assistenten die Klinik verlassen sollten."

Um seine Defizite zu beheben, übte Ehrhardt zunächst an Leichen in Wien, im Verlauf des Krieges an lebenden Menschen. Dazu boten sich insbesondere "Ostarbeiterinnen" an, die seit 1943 in großer Zahl zur Verfügung standen. Zum Zweck der Abtreibung aus "rassischen" Gründen wurden hunderte junge schwangere Frauen aus der damaligen Sowjetunion und Polen in die Grazer Frauenklinik geschickt, um sie für Übungs- und Forschungszwecken zu missbrauchen.

Gefährliche Abtreibungen

Basis für die Schwangerschaftsabbrüche war ein Erlass des "Reichsgesundheitsführers" vom März 1943. Parallel dazu führte eine Strafrechtsänderung die Todesstrafe für Abtreibung an "deutschen" Frauen ein und hob die gerichtliche Verfolgung von Abtreibungen an "nichtdeutschen" Frauen auf. "Zwischen April 1943 und März 1945 können wir rund 500 Abbrüche an Ukrainerinnen, Russinnen und Polinnen nachweisen", berichtet Czarnowski. Bis zu 350 Eingriffe gingen auf das Konto des Klinikvorstands.

Ehrhardts Abtreibungsmethoden waren sehr schmerzhaft für die Frauen und entsprachen nicht den damaligen medizinischen Standards, etwa wenn er in der Frühschwangerschaft die eingreifendere "vaginale Sectio" der einfacheren "Ausräumung" der Gebärmutter vorzog. Vollkommen überflüssig war die ein- bis zweitägige Einlage eines "Metranoicters" (ein Federbügel mit starker Spannung) zur Aufdehnung des Gebärmutterhalses. Darüber hinaus führte der Klinikchef an den schwangeren Frauen Operationen aus, die nur bei krebskranken Patientinnen üblich waren. 32 Opfer solcher missbräuchlicher Eingriffe lassen sich identifizieren, 85 andere Zwangsarbeiterinnen benutzte der Klinikchef zu Forschungszwecken.

In Fortführung seiner Strahlenexperimente injizierte er Schwangeren radioaktive Kontrastmittel. Zugleich erprobte er durch die Injektion von für die Föten tödlichen Giften eine neue Methode des Abbruchs, den er als "Formalinabort" in der Medizinischen Gesellschaft Steiermark vorstellte.

Angesichts der unnötigen und gefährlichen Operationen mit bleibenden Verletzungen und Verstümmlungen an den unfreiwilligen Patientinnen verstummte die interne Kritik am Klinikvorstand nicht. Nach 1945 wurde gegen Ehrhardt ein Strafverfahren eingeleitet. "Ehrhardt hatte sich schon gegen Kriegsende nach Deutschland abgesetzt und wurde von der deutschen Justiz nicht ausgeliefert. Die Ermittlungen wurden 1954 aufgrund von Verjährung eingestellt", berichtet Czarnowski. Zumindest mit Ehrhardts Universitätskarriere war es seit 1945 vorbei. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 23.09.2009)