Wien zu verlassen "tut mir schon sehr weh": Gürsel Dönmez

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"Was meine Aufgabe ist? Das weiß ich selbst nicht so genau", sagt Gürsel Dönmez. Nach 22 Jahren in Wien wird der Politikwissenschafter zurück nach Ankara gehen. Nicht, weil es ihm hier nicht gefällt, sondern weil er ein Jobangebot hat. Dönmez wird Berater des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Er sei als eine Art Stabsstelle für außenpolitische Angelegenheiten zuständig, "wohl hauptsächlich im EU-Raum", vermutet Dönmez.

Die bisherige Laufbahn des 45-Jährigen deutet nicht unbedingt auf den Karrieresprung hin. Der Politikwissenschafter und Wirtschaftssoziologe ist seit 2006 Präsident der "Union Europäisch Türkischer Demokraten Austria" (UETD). Abgesehen davon war Dönmez, der an der Universität Ankara Politikwissenschaft studiert hat, bislang nicht politisch tätig. 

Österreich als "Stimmungsbarometer"

Es sei "nicht das erste Mal, dass ein absoluter No Name eine hohe Funktion in der türkischen Regierung bekommt", kommentiert Cengiz Günay, Türkei-Experte im Österreichischen Institut für Internationale Politik (OiiP), die Bestellung Dönmezs. Dass ganz bewusst ein Austrotürke gewählt wurde, um Österreichs Widerstand gegen den EU-Beitritt der Türkei zu brechen, hält Günay indes für unwahrscheinlich: "Da konzentiert sich die Türkei eher auf die Großen in der EU." Österreich sei lediglich als "Stimmungsbarometer" interessant – "da man hier die eskalierte Stimmung in extremerer Weise beobachten kann".

Dönmez meint im derStandard.at-Gespräch, das Jobangebot sei für ihn "keine Überraschung" gewesen. "Meine Studienkollegen sind alle hohe Bürokraten im Staat geworden. Und in all diesen Jahren habe ich den Kontakt mit ihnen nie abgebrochen." Er selbst werde jedenfalls ein "selbsternannter Vertreter Österreichs in der Türkei" sein.

Die UETD Austria tat sich bisher vor allem mit Maßnahmen zur Förderung der politischen Partizipation von MigrantInnen hervor – etwa mit einer Kampagne, die MigrantInnen zur Stimmabgabe bei der Nationalratswahl aufrief. Ihre deutsche Schwesternorganisation ist als AKP-nahe bekannt. Im Vorjahr bereitete sie den Auftritt Erdogans in der Köln-Arena vor, der von 20.000 Menschen besucht wurde. 

"Herkunft ist eine historische Kategorie"

Der dort getätigte Sager Erdogans, wonach die Assimilation türkischstämmiger Deutscher "ein Verbrechen gegen die Menschheit" sei, zog heftige Kritik nach sich. Dönmez hält den Satz für aus dem Zusammenhang gerissen. "Der Premier will, dass sich die Menschen dort, wo sie leben, integrieren und engagieren." Er selbst hält die Herkunft der MigrantInnen für "eine historische Kategorie": "Ob die Eltern türkische oder deutsche Wurzeln haben, ist nicht so wichtig: Menschen haben tiefere Werte", so Dönmez. Für Österreich werde es "eine Bereicherung sein, dass die neuen Mitbürger ihre Verantwortung üben. Und das begrüßt der türkische Ministerpräsident". 

Monatlich zurück nach Wien

Dass er Wien nun verlasse, "tut mir schon sehr weh", sagt Dönmez. Er plant, monatlich auf Besuch zu kommen. "In Istanbul dauert es drei bis vier Stunden, um irgendwo hin zu fahren. Um von Ankara nach Wien zu kommen, braucht man zwei Stunden. Die Welt ist klein geworden." In nobler Andeutung übt sich Dönmez, wenn das Thema auf Österreichs Umgang mit Minderheiten geht: Er habe Karl Poppers "Offene Gesellschaft und ihre Feinde" in Ankara gelesen, erzählt Dönmez. "Aber richtig verstanden habe ich es erst hier." (Maria Sterkl, derStandard.at, 23.9.2009)