Blick auf den Technologiepark Berlin-Adlershof, wo viele ehemalige DDR-Forscher Unternehmer geworden sind.
(Foto: WISTA-MG - www.adlershof.de)

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Berlin - "Es war eine harte Zeit", sagt Andres Jiron, Leiter des Analytischen Zentrums Berlin-Adlershof, über die Zeit nach der Wende in Deutschland vor 20 Jahren. Er ist einer von zahlreichen Wissenschaftlern der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR, die nach der Schließung der Institution 1990 von vorne beginnen mussten. Anlässlich eines Besuchs ausländischer Journalisten im Technologiepark Adlershof erinnerten sich einige der inzwischen zu erfolgreichen Firmenchefs gewordenen Forscher an die Zeit des Umbruchs.

Selbstständigkeit

5.500 Mitarbeiter hatte die Akademie der Wissenschaften, 4.100 von ihnen waren Wissenschaftler. Von "1.300 erhaltungswertem Personal" sprachen damals die Bewerter aus dem Westen. Die Politik legte den arbeitslos gewordenen Akademikern nahe, sich selbstständig zu machen. Heute sind viele von ihnen erfolgreiche "Jungunternehmer" kleiner hoch qualifizierter Betriebe im Technologiepark Adlershof, der sich dort erstreckt, wo bis 1989 die Akademie, das Fernsehen der DDR und ein Wachregiment angesiedelt waren. Zurzeit arbeiten mehr Menschen auf dem Gelände als damals.

"Höhen und Tiefen" habe es in den vergangenen Jahren gegeben, sagt Jiron, der aus Nicaragua an die Akademie gekommen war. Seit 1996 ist er in der Umweltanalytik tätig, 20 Mitarbeiter hat sein Betrieb, die Hälfte kommt aus der einstigen Akademie. Erst hätten sie nach der Wende in einer der ersten von der Stadt Berlin geförderten Firma gearbeitet, erzählt Jirons Frau und Mitgesellschafterin Elena. Doch seien dort lediglich die Gelder abgeschöpft worden, 1996 wäre die Firma am Ende gewesen. "Da sagten wir, wir wollen einen Teil davon retten", man habe sich damit selbstständig gemacht, so Elena Jiron.

Entwicklung

"Über Existenzängste nachzudenken hatte ich gar keine Zeit", sagt Rainer Hammerschmidt, der im Frühjahr 1990 eine der ersten Firmen, noch ohne Förderung gegründet hatte. Seither habe sein Unternehmen BESTEC, das Vakuumanlagen herstellt, stets schwarze Zahlen geschrieben ohne reich zu werden. "Da wir die Marktwirtschaft nicht kannten, war es auch nicht das Ziel möglichst profitabel zu arbeiten", sagt der ehemalige Wissenschaftler. "Die Bank kam dann mal auf uns zu und fragte, warum die Kurve nicht steiler nach oben zeige."

Hammerschmidt, der 25 Mitarbeiter, alle mit Akademie-Vergangenheit, beschäftigt, meint, dass der Vorteil der in der DDR ausgebildeten Wissenschaftler darin gelegen sei, dass sie breiter ausgebildet waren als im Westen und in der Lage gewesen wären, nochmals zu lernen.

Unmittelbare Verantwortung

Dietmar Lerche lehrte an der Humboldt-Universität, als diese nach der Wende beschloss, sein Institut, das sich dem Fließen der roten Blutkörperchen gewidmet hatte, anders auszurichten. Lerche gründete die L.U.M. Gesellschaft für Labor-, Umweltdiagnostik und Medizintechnik, mit der er etwa die Stabilität von Kosmetika und Lebensmitteln über längere Zeiträume berechnet. 20 Mitarbeiter beschäftigt Lerche und betreibt eine Tochtergesellschaft in den USA. Er sieht sich weiterhin der Wissenschaft und den Inhalten verbunden. "Das ist der Unterschied zum Marketing: An Einkäufer wenden wir uns gar nicht."

Ein weiteres Charakteristikum der DDR-Prägung erwähnt Lerche: "Das war die unmittelbare Verantwortung, die einen abends vor dem Einschlafen beschäftigte", sagt er. "Werde ich am Monatsletzten die Gehälter, die Miete, den Strom bezahlen können?" Alle anwesenden Jungunternehmer zeigen ihre Scheu vor dem Schuldenmachen. Dennoch haben sie den Schritt in die Selbständigkeit nicht bereut, auch wenn es "am Anfang wie ein Buch mit sieben Siegeln war" (Andres Jiron) und man "ja anders in die Welt gestartet" sei, "ich wollte mich nicht mit Buchhaltertätigkeit oder Bankern auseinandersetzen", sagt Hammerschmidt.

Doch es habe keine andere Wahl gegeben. "Es ist alles auf den Kopf gestellt worden. Man war gezwungen sich zu überlegen, wie man überlebt", sagt Dietmar Lerche. Dennoch, vermutet Lerche über seine Ex-Kollegen: "Es waren nicht viele, die brutal gescheitert sind." Allerdings hätten so manche "mit ihrem Schicksal gehadert", räumt er ein. "Wer einmal Wissenschaftler war und dann als Vertreter für ein Produkt tätig sein sollte, das nicht sehr innovativ ist, der ist ganz bestimmt im Inneren nicht glücklich geworden." (APA)