Resopal-Welt statt Österreich-Mief: Kurt Palm (li) und Harald Kleinschmid testen die DDR aus - der eine in den 80er-, der andere in den 60-er Jahren.

Foto: Standard/Corn

Zwei Österreicher, die "hinübergegangen sind", weil es ihnen zu Hause tatsächlich nicht gepasst hat: Harald Kleinschmid und Kurt Palm erinnern sich an ihre Jahre in Ostberlin. Markus Bernath moderierte das Gespräch.

Standard: Mit Bertolt Brecht kennen Sie sich ja beide aus. In einem seiner Stücke wird ein Schild ins Publikum gehalten, darauf steht:"Glotzt nicht so romantisch" . Haben Sie beide so auf die DDRgeschaut?

Kleinschmid: Ich wusste, was mir bevorstand, aber ich war 17. Da ist einem vieles ziemlich wurscht. Mir waren die 50er-Jahre in Österreich zu viel – meine Mutter war mit meinem Stiefvater Arnolt Bronnen schon in Ostberlin, ich lebte mit meiner Oma hier, und die wurde dann krank. Da wollten sie mich in Ischl in ein Internat stecken. Da habe ich gesagt, ich gehe lieber nach Ostberlin.

Palm: Eine plausible Alternative!

Kleinschmid: Was mich dazu so früh in die DDR brachte und später wieder hinaus, ist ein bekannter Ausspruch eines berühmten Mannes: "Wer in seiner Jugend nicht Kommunist war, der hat kein Herz, und wer im Alter immer noch Kommunist ist, der hat keinen Verstand." Der große Einschnitt kam 1968 mit der Niederschlagung des Prager Frühlings. Da waren die Blütenträume, die ich vielleicht früher hatte, endgültig geplatzt.

Palm: Ich war 20, als ich zum ersten Mal in der DDR war. Ich bin mit 17 Kommunist geworden, auf dem Land, und habe von daher eine gute Schulung im Widerstand bekommen.

Standard: Widerstand gegen wen?

Palm: Sie können sich vorstellen, in einem Ort wie Timelkam – bei Bronnen kommt Timelkam einmal in einem Stück vor ...

Kleinschmid: Ich komme aus Ottensheim – da war es nicht besser.

Palm: Kann man sich also vorstellen. 1972 habe ich mich dieser Bewegung angeschlossen, weil ich sie als sehr interessante radikale Alternative zu unserer Politik empfand. Einer der Sprüche damals war ja: "Wann's euch da nicht passt, ihr Kommunisten, gehts nach Russland oder Ostdeutschland." Man hat ja nie "Sowjetunion" oder "DDR" gesagt. Ich hab in Wien keine Chance gehabt zu arbeiten. Damals noch – viel schlimmer als heute – war der gesamte Kulturbereich in den Händen der SPÖ.

Kleinschmid: Sie müssen sich das in den 50er-Jahren vorstellen! Das war Adenauer-Ära mit österreichischem Antisemitismus.

Palm: Und über das habe ich ein Buch geschrieben. Über den Brecht-Boykott in Österreich, was viele nicht hören wollten. Ich war 28, als das Buch erschien, wollte in Wien beim Theater arbeiten und habe gesehen: Das funktioniert nicht. Ostberlin war für mich eine Alternative. Ich habe mir gedacht, schau dir das an. Dann erhielt ich eine Einladung. Ich war privilegiert, hatte keinen Pflichtumtausch, konnte tun und lassen, was ich wollte. Ich hätte jeden Abend nach Westberlin fahren können, wenn ich gewollt hätte – was ich nicht getan habe.

Kleinschmid: Aber einkaufen waren Sie schon?

Palm: Eigentlich selten. Ich wollte das nicht. Da bin ich ein bisschen eigen, ich hab mir gedacht, ich lebe damit. Mir hat das gereicht, was ich in der DDR gehabt habe. Ich bin auch hier in Österreich kein Anhänger des Konsumismus.

Kleinschmid: Da muss ich ein bisschen dagegenhalten. Sie waren erstens privilegiert in der DDR – das war ich genauso. Aber die DDR war immer eine Mangelgesellschaft, von den 50er- bis zu den 80er-Jahren. Irgendetwas gab's immer nicht. Die ganze DDR-Gesellschaft beruhte auf einem Geben und Nehmen. Das Wort "Beziehungen" war großgeschrieben.

Palm: Sie waren gut organisiert. Ich habe diese Subkultur am Prenzlauer Berg kennengelernt. In den Hinterhöfen dort standen viele Häuser, wo die Besitzverhältnisse unklar waren und die Behörden eine Art Besetzung tolerierten. Da gab es Konzerte, Ausstellungen, Modeschauen. So lange sie nicht mit den Staatsorganen in Konflikt gerieten, hat man die Leute dort mehr oder minder in Ruhe gelassen.

Kleinschmid: Diese Hinterhöfe waren ja auch schon Ausdruck der Mangelgesellschaft. Ich bin einmal umgezogen in Ostberlin und habe die Kloschüssel mitgenommen, weil in der neuen Wohnung keine war. Später, als meine Frau und ich schon im Westen waren, haben die Behörden noch versucht, meiner Mutter diese Kloschüssel in Rechnung zu stellen.

Und dann zum Prenzlauer Berg: Sie sind, so sagen Sie, aus widerständischen Erwägungen, was völlig nachvollziehbar ist, aus Österreich weggegangen. Aber in den 80er-Jahren war der Prenzlauer Berg ein Hort des – na ja, Widerstand ist vielleicht übertrieben ...

Standard: Schon auch der Dissidenz ...

Kleinschmid: Ja, zum Teil, aber da gab es auch eine Person wie Sascha Anderson in der Szene am Prenzlauer Berg – einer der wesentlichen Leute der Stasi, für die er seine Freunde und Bekannten bespitzelte. Mit dem herrschenden System jedenfalls hatte die Szene am Prenzlauer Berg absolut nichts am Hut.

Palm: Das ist richtig. Und ich muss dazu sagen, ich war damals, Anfang der 80er-Jahren, aus der Kommunistischen Partei schon ausgetreten – aus verschiedenen Gründen, aber ich würde mich nach wie vor als Marxisten bezeichnen. Das Hauptproblem der DDR war der Überbau, diese Politkaste, die völlig unfähig war, die realen Verhältnisse richtig einzuschätzen. Organisatorisch hat sich die DDR behauptet, sie war damals die fünftgrößte Industrienation Europas.

Kleinschmid: Das haben sie immer gesagt ...

Palm: Verglichen mit Bulgarien oder Rumänien war die DDR hochentwickelt. Von der materiellen Seite her hatte ich das Gefühl, das passt, und da hätte es Entwicklungspotenzial gegeben. Das Hauptproblem war die Politkaste, die den Marxismus dogmatisch interpretierte und Phrasen drosch. Was im Neuen Deutschland stand, hatte nichts mit der Realität zu tun. Von der Realität hat man im Theater erfahren. (DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.9. 2009)