Die legendäre "Proletenpassion" sollte für Beatrix Neundlinger ein Meilenstein in ihrer Karriere und ihre fixe "Eintrittskarte" zur Polit-Rockgruppe der "Schmetterlinge" werden.

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Die Künstlerin sieht sich als Teamarbeiterin und nicht als Einzelkämpferin: "Bei mir lag die Betonung immer auf Teamarbeit, auf dem Kollektiv. Ich habe bei allem gerne mitgemacht, was in der Gruppe passiert ist, das kann ich gut, aber ich war sicher nie eine Vorreiterin."

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Von 1977 an engagierte sich Beatrix Neundlinger vorübergehend auch stark in der Frauenbewegung. "Für die eigene Entwicklung war es wichtig, da durchzugehen, kämpferisch zu sein und aufzupassen, dass wir uns das, was wir erreicht hatten, nicht mehr nehmen lassen."

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Im April 2009 hat Beatrix Neundlinger als Anerkennung für ihre Arbeit gemeinsam mit Filmemacherin Kitty Kino das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien überreicht bekommen (im Bild mit Kulturstadtrat Mailath-Pokorny).

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Seit 2004 tritt sie mit ihrer eigenen Band, "9dlinger und die geringfügig Beschäftigten", auf: "Wir machen mit unseren sozialkritischen Liedern ein Nischenprogramm, das es in dieser Form sonst nicht mehr gibt."

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Hunderte Kinderaugenpaare sind auf die Bühne gerichtet. Herbei flattert ein "Schmetterling", dann noch einer, und noch einer. Und dann kommt Beatrix Neundlinger, das elegante, weiße Haar zum Pferdeschwanz gebunden, in der Hand die Querflöte, an den Füßen Taucherflossen. Mal singt sie, mal moderiert sie, mal schwingt sie sich aufs Seil: Das "Schmetterlinge Kindertheater" spielt "Die Geggis".

Querflöten- und Saxophonspielen habe sie erst für die Bühne erlernt, sagt die Künstlerin. Als Kind hatte sie nur zwei Jahre Klavierunterricht, an den sie jedoch gar nicht gern zurückdenkt: "Das war schlimm: strenger Unterricht, ohne Spaß, das mache ich jetzt nur mehr für mich ein bisschen." Damals verschwendete sie noch keinen Gedanken daran, Künstlerin werden zu wollen: "Mütterlicherseits komme ich allerdings aus einer künstlerischen Familie: Meine Großmutter war Opernsängerin und mein Großvater, den ich nie kennenlernte, Theaterregisseur und Filmproduzent am UFA-Gelände in Berlin."

Mit 18 war die Bühne noch immer kein Thema, im Gegenteil: "Mein erster Berufsgedanke war, es muss irgendetwas mit Mathematik sein, also habe ich beschlossen, Rechentechnik zu studieren und Programmiererin zu werden - auch meinem Vater zuliebe, weil er gerne etwas Technisches studiert hätte, aber nicht durfte; als "Gefalltochter" sozusagen." Der Frauenanteil an der Technischen Hochschule in Wien lag damals bei zehn Prozent: "Einer der ersten Kommentare, die ich dort hörte, war: 'Ah, sind Sie auch eine von diesen zehn Prozent, die sich hier einen Mann angelt?'"

Ran ans Mikrofon

Schließlich sollte sie aber doch noch die Formelsammlung gegen das Mikrofon eintauschen: "An der Hochschule ist meine erste Band entstanden, die 'Milestones'. Wir haben damals mit englischen Liedern von Peter, Paul & Mary begonnen, später auch zu deutschen Texten gesungen." 1969 gewann die Band mit "Einmal" den ersten Platz bei der "Großen Chance", drei Jahre später mit "Falter im Wind" den fünften Platz beim Eurovisions Song Contest. "Danach hatte ich eigentlich schon genug vom Song Contest, aber mit den 'Schmetterlingen' war ich 1977 dann nochmal am Start. Das war ein Deal: Wir haben mitgemacht, weil wir damit das Geld bekommen haben, um die 'Proletenpassion' zu finanzieren."

Die legendäre "Proletenpassion", ein politisches, sozialkritisches Oratorium, sollte ein Meilenstein in ihrer Karriere und ihre fixe "Eintrittskarte" zur Polit-Rockgruppe der Schmetterlinge werden. Das Werk wurde 1976 bei den Wiener Festwochen als szenische Theaterfassung uraufgeführt und 1977 als konzertante Version auf Platte eingespielt: "Bei der Festwochenaufführung des Stücks war ich als Querflötenspielerin und Sängerin engagiert. Von den Arbeiten an dem Theaterprojekt war ich so begeistert, dass ich mich voll reingeschmissen habe. Ich war so richtig hungrig nach Theaterarbeit und nach Proben und habe diese Chance voll genutzt." Als Pippa Armstrong dann 1976 von den Schmetterlingen wegging, stellte sich die Frage, ob sie ganz einsteigen solle: "Und es hat nicht lang gedauert, bis wir uns einig waren. Da war dann klar, dass ich jetzt hauptberuflich Künstlerin bin."

Frontfrau am besten Platz

Bei den Schmetterlingen lernte Beatrix Neundlinger auch Willi Resetarits kennen, mit dem sie viele Jahre zusammenlebte und zwei Kinder hat. Wie hat sie sich damals bei den Schmetterlingen als einzige Frau gefühlt? "Es war anstrengend und interessant zugleich: Für die Zuschauer war ich die Frontfrau, eine wichtige Person, die den besten Platz bekommt. In der Gruppe musste ich aber auch um meinen Platz kämpfen."

Hat sie jemals an eine Solokarriere gedacht? "Ich hatte zwischen den Milestones und den Schmetterlingen zwei Jahre Leerlauf, in denen ich Nummern mit Musikern von den Schmetterlingen produziert habe. Da habe ich kurz mit dem Gedanken gespielt, mich aber ziemlich chancenlos gesehen, denn was soll ich mit drei produzierten Liedern anfangen? Die sind dann dafür in die Musik der Schmetterlinge eingeflossen." Schon damals habe sie sich als Teamarbeiterin und nicht als Einzelkämpferin gesehen: "Bei mir lag die Betonung immer auf Teamarbeit, auf dem Kollektiv. Ich habe bei allem gerne mitgemacht, was in der Gruppe passiert ist, das kann ich gut, aber ich war sicher nie eine Vorreiterin."

Stark in der Frauenbewegung

Von 1977 an engagierte sich Beatrix Neundlinger vorübergehend auch stark in der Frauenbewegung. "Es ging damals um die Errichtung eines eigenen Kommunikationszentrums nur für Frauen in Wien", erinnert sich sich. "Das war ein wichtiger Kampf im Rathaus und auf der Straße mit Unterstützung von Johanna Dohnal und für mich die erste größere Auseinandersetzung mit dem Thema." Für sie sei es eine Art Durchlaufposten gewesen: "Man geht mit, macht viele Flugblätter, organisiert Demonstrationen und dann klinkt man sich wieder aus und die nächste Generation macht weiter. Die Frauen nach mir hatten schon wieder ganz andere Themen, die sie bewegten."

Wichtig sei damals gewesen, "dass Frauen ohne Männerbeteiligung einmal an einem Strang ziehen, sich vernetzen und schauen, wie ihre Kultur eigentlich aussieht. Das war kein Ausschluss der Männer, sondern etwas Neues - Frauen sollten sich miteinander über all das austauschen können, von dem es bis dato hieß, 'Darüber spricht man nicht', oder 'Das ist eben so, auch deine Mutter hat das schon gemacht'." In den Gruppierungen der Frauenbewegung hätten Frauen endlich einmal aussprechen können, wozu sie sonst nicht den Mut hatten: "Für die eigene Entwicklung war es wichtig, da durchzugehen, kämpferisch zu sein und aufzupassen, dass wir uns das, was wir erreicht hatten, nicht mehr nehmen lassen."

"Mutprobe" Playboy

Dass sie sich in den 70er-Jahren für den "Playboy" ablichten hat lassen, sei für sie so eine Art "Mutprobe" gewesen, was die Frauen nicht weiter empört habe, aber: "Auf Tournee mit der 'Proletenpassion' durch Deutschland wurde mir ständig von Männern vorgehalten, wie sehr ich damit der Frauenbewegung schade. Es war ein sehr züchtiges, unschuldiges, aber sehr schönes Foto; das Thema war 'Die 30 schönsten Madln von Wien'. Dass es der Adabei aber auch in der Kronen Zeitung veröffentlicht hat, das war mir dann ein bisserl peinlich."

Geburt als schönste Erfahrung

Gefragt nach ihrer schönsten bisherigen Lebenserfahrung antwortet die Künstlerin: "Dass ich, mit großer Unterstützung vom Willi (Resetarits, Anm.), den Mut gehabt habe, eine Hausgeburt zu machen. In einer verschneiten Februarnacht, um fünf Uhr in der Früh, das war ein ganz besonderes Erlebnis."

Tochter Johanna, die heute unter anderem mit dem Papa Konzerte gibt, und Sohn Valentin, der als Snowboardlehrer demnächst nach Kanada geht, haben das Künstlerleben von Anfang an live miterlebt: "1981 hatten wir Premiere für das Programm 'Letzte Welt' in Recklinghausen. Ich hatte Anfang August Geburtstermin mit meiner Tochter und im November startete die Tournee. Nach der Geburt haben wir das Stück einstudiert und mit dem zweieinhalb Monate alten Baby sind der Willi und ich dann auf Tournee gefahren. Eine Freundin hat uns begleitet, die hat mir das Baby vor der Vorstellung abgenommen und ist mit ihm ins Quartier gefahren."

Familienfreundliches Klima

Dass es in der Gruppe bereits mehrere Kinder gab, habe es ihr leichter gemacht, auch selbst schwanger zu werden, "weil ich wusste, wenn ich Mutter werde, werde ich nicht zur Aussteigerin. Durch dieses familienfreundliche Klima habe ich den Schritt überhaupt erst gewagt. Wie dann beide Kinder mit waren, sind die Omas mitgekommen - das war für die Kinder und uns ganz wichtig, ohne sie hätten wir vieles nicht machen können. Im Schulalter ging das dann natürlich nicht mehr so leicht."

Mit den Kindern kam auch bald das "Schmetterlinge Kindertheater", für das Erich Meixner Mira Lobes beliebte Kinderbücher "Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel" und "Die Geggis" vertonte. Wieder folgten Tourneen, Auftritte, oft Doppelvorstellungen am Wochenende. Parallel dazu startete Willi Resetarits seine Karriere als Ostbahn-Kurti. "Familiär hieß das leider sehr traditionell: mehr Ostbahn-Kurti, weniger Schmetterlinge. Ich hatte das Tages-, der Willi das Abendgeschäft; bei mir im Kindertheater konnten die Kinder mitfahren, bei ihm nicht. Ich würde dem Willi aber daraus nie einen Vorwurf machen: Er hat das gelebt, was er leben musste. Ich habe damals noch nicht meine Füße in die Hand genommen und bin losgelaufen, sondern erst viel später."

Auflösung und neue Chance

Irgendwann nämlich habe sich alles langsam aufgelöst: "Die Schmetterlinge haben weniger gespielt, wir haben wenige neue Programme gemacht, keine CDs mehr produziert - die Interessen der Gruppenmitglieder sind auseinandergedriftet." Jedoch: "2002 erhielt ich die Einladung, einen Kreativworkshop mit Langzeitarbeitslosen zu machen - darin sah ich eine große Chance und habe zugegriffen." Aus dieser Chance hätten sich eine Coaching- und Supervisionsausbildung und ein ganz neues Tätigkeitsfeld ergeben: "Die Kinder waren groß und selbstständig, zum Teil bereits ausgezogen, ich musste nicht mehr für sie sorgen, konnte sie gut gehen lassen und habe mich auf einen neuen Berufsweg konzentriert. Jetzt stand ich selbst wieder im Mittelpunkt."

Als Trainerin und Supervisorin ist Neundlinger mittlerweile in vielen Sparten unterwegs: "Ich mache Präsentationsseminare und Berufsorientierungskurse für verschiedenste Institutionen und kann dabei vieles aus meiner Bühnenerfahrung einbauen: Stimmarbeit, Gesprächsführung über Rollenspiele, Improvisationsspiele - Elemente, die lustig sind und wo die Teilnehmer spielerisch in Gang kommen. Die Kür macht einfach mehr Spaß als die Pflicht." Im Wiener Integrationshaus, wo die Künstlerin und Trainerin seit Juli 2009 ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende ist, bildet Neundlinger außerdem als Lehrsupervisorin Frauen mit Migrationshintergrund zu Integrationstrainerinnen aus.

Die Welt im Kleinen verändern

In einem Interview mit Ö1 sagte die Künstlerin 2007: "In den Siebzigern habe ich gehofft, die ganze Welt zu verändern, heute möchte ich die Welt im Kleinern verändern." Im Kleinen, das bedeute für sie zum Beispiel, einen Berufsorientierungskurs im Low-Budget-Bereich zu geben, sagt sie heute zu dieStandard.at: "Ich arbeite zum Beispiel mit Frauen, die eine Ausbildung im technisch-handwerklichen Beruf bekommen. Mich hier ganz auf die persönliche Situation jeder einzelnen Frau zu konzentrieren, kann so viel Unterstützung sein, da merke ich ganz direkt, was sich verändert. Und es hält mich an der Basis, weil ich direkt mit den Problemen der Frauen konfrontiert bin. Auch im Integrationshaus glaube ich, dass wir für die Menschen viel im Kleinen bewirken können."

Ganz aufgeben würde sie das Künstlerinnen-Dasein aber auch mit über 60 noch nicht: "Früher hat man uns gefragt, ob wir im Kindertheater mit 40 noch auf der Bühne stehen wollen und wir haben gesagt 'Wahrscheinlich nicht mehr'. Wenn man uns gefragt hätte, ob wir es mit 60 noch tun, hätten wir gesagt 'Nie im Leben'", lacht sie.

"9dlinger und die geringfügig Beschäftigten

Im Moment habe sie auch gar keinen Grund, aufzuhören - wo sie doch seit 2004 mit ihrer eigenen Band, "9dlinger und die geringfügig Beschäftigten", auftritt: "Wir machen mit unseren sozialkritischen Liedern ein Nischenprogramm, das es in dieser Form sonst nicht mehr gibt. Wir hatten das Gefühl, diese Kunstform geht ein wenig verloren, dem wollten wir entgegensteuern. Die wunderbaren Musiker, die mit mir spielen, sind alle ein bisserl bis ein bisserl viel jünger als ich und sie haben trotzdem nicht gesagt: 'Dich verstecken wir hinter dem Paravent, du gehörst nicht mehr auf die Bühne.'"

Dem Kindertheater werde sie hingegen über kurz oder lang "Adieu" sagen: "Mit einigen Stücken habe ich bereits aufgehört. Und es war mir auch wichtig, mich nach der langen Zeit, die ich vor Kindern aufgetreten bin, wieder an einem erwachsenen Publikum zu messen, andere Inhalte zu bringen."

Ausgezeichnet

Im April 2009 hat Beatrix Neundlinger als Anerkennung für ihre Arbeit das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien überreicht bekommen. Und seit Kurzem flattern die Schmetterlinge auch wieder mit einem Programm anlässlich des 70. Todestages von Jura Soyfer gemeinsam über die Bühne(n).

Heimliches Hoffen

Wie geht sie heute mit dem Thema Alter um? Empfindet sie das Älterwerden als Belastung? "Ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehe, weil ich zu diesen 'jungen Alten' gehöre, die nicht zugeben, dass der Körper sich verändert. Wenn ich sage, wie alt ich bin, ist da schon immer dieses heimliche Hoffen, dass jemand sagt: 'Na, das sieht man dir aber nicht an'. Es ist sicher auch ein Stück Jugend oder Jugendlichkeit, dem ich hinterherjage, nach dem Motto: 'Ich kann nicht aufhören, ich muss weiterarbeiten, bis ich 70 bin.' Der Gedanke an die Pension, daran, im Ruhestand zu sein, ist für mich ein ganz schrecklicher." Manches am Älterwerden empfinde sie aber durchaus auch als angenehm: "Nicht mehr das Gefühl zu haben, alles tun zu müssen, das finde ich gut." (Isabella Lechner/dieStandard.at, 28.9.2009)