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In Theben wird mit der Ehehygiene schändlichster Spott getrieben: Amphitryon (Michael Maertens, li.) kommt Göttern in die Quere; sein Knecht Sosias (Fabian Kürger) bezieht Prügel.
Wien - Schöner oder gar tiefgründiger könnte über die Übernahme eines Theaters gar nicht nachgedacht werden. Matthias Hartmann lässt die Wiener großzügig teilhaben an seinen Zürcher Errungenschaften. Er transferiert einige seiner wirkungsvollsten Inszenierungen Stück für Stück an die Donau: Auf Bernhards Immanuel Kant, eine grandiose Oberflächenskizze, folgt nun Heinrich von Kleists Amphitryon nach. Das Publikum im Wiener Akademietheater akklamierte Hartmanns von keinerlei Schwermut getrübte Komödienaufführung heftig. Doch was erzählt Hartmann, indem er sich Kleists "grüne Augen" aufsteckt?
In den Augen des unglücklichen Preußen Kleist (1777-1811) krankt die Welt gerade daran, dass man nicht wissen kann, ob dasjenige, was man erkennt, auch wirklich mit den Tatsachen übereinstimmt.
In Amphitryon erfährt der gleichnamige thebanische Feldherr (Michael Maertens) die schmählichste aller Zurücksetzungen. Er kehrt zu der ihm angetrauten Alkmene (Dörte Lyssewski) heim - nur um zu erfahren, dass jemand in seiner Gestalt, unter Wahrnehmung seiner angestammten Eherechte, im trauten Doppelbett der ehelichen Lust gefrönt hat.
Hartmanns Kleist-Inszenierung, die großteils klar ist, mondhell und dabei oft zum Brüllen komisch, verräumt die "grünen Gläser" vorsorglich im Geschichtsschrank. Die Gläser sollen ja unsere Augen sein: Wer durch sie hindurchblickt, erkennt gewiss alles. Was er indes sieht, ist notgedrungen grün.
Täuschung des Blicks
Für Hartmanns Komödianten bilden die Schrecken der Welt im Licht der farblichen Vortäuschung eine skandalöse Zumutung. Amphitryons vorausgeschickter Bote Sosias (Fabian Krüger), der seinem eigenen Double im Spalt einer Zylindertrommel begegnet (Bühne: Volker Hintermeier), empfängt, kaum angekommen, bittere Schläge. Sein fettig grinsendes Ebenbild (Oliver Masucci) ist kein Geringerer als der Gott Merkur, der den proletarisch blökenden Eindringling mit einer leeren Plastikwasserflasche traktiert.
Nur sind die Kleist-Figuren aber auch nur Hartmann-Menschen. Sie spielen unverhohlen ins Publikum. Sie sind leidlich bürgerlich. Sie verbrämen ihre Erkenntniszweifel mit einer geradezu unverschämten Lust an der eigenen Empörung: Gottvater Jupiter (Roland Koch), der von Alkmene postkoital gesättigt scheidet, mimt den gestressten Beziehungsmanager. Er erpresst mit sicherer Besitzstandsgeste von der Sterblichen die Versicherung, dass die Zärtlichkeit „ihm" galt, nicht etwa dem Rechtstitel der "ehelichen Pflicht".
Von nun an sind die Verhältnisse in der schändlichsten Verwirrung. Wer hat es mit wem (nicht) getrieben? Warum ficht es das sittliche Bewusstsein an, mit jemanden geschlafen zu haben, der derselbe gewesen ist, der er immer war - nur eben um jene Spanne "göttlicher", als die Logik Sterblicher es sich träumen lässt?
Krügers Sosias ist ein fantastischer Komiker: ein schlaksiger Stotterer, dessen nasales Geblök von fern an Jens Harzer erinnert. Ein vom eigenen Elend in die trotzigste Unterwerfung getriebener Proletarier, dem die Gemahlin Charis (Karin Pfammatter) mit der aufmüpfigen Duldungslust einer grün-liberalen Hausverwaltungskraft erotisch zusetzt. In kleinbürgerlichen Verhältnissen kennt sich diese Inszenierung nämlich bestens aus.
Amphitryon (Maertens) kitzelt die Stimme bis in die höchsten Höhen des Hahnrei-Elends empor, wenn er sein Weib der Untreue überführt glaubt.
Diese moderne Oscar-Wilde- und Feydeau-Figur müsste jetzt nur noch darüber instruiert werden, dass das Kleist'sche Elend mehr meint als einen ehehygienischen Betriebsunfall. Alkmene (Lyssewski) könnte dann auch mehr als innige Betriebswärme beisteuern. Eine amüsante Aufführung; es braucht für sie keinen Operngucker, keine grün gefärbten Augen. Sie ist milde und vergnüglich - und ein bisschen trivial. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe 29.9.2009)