Es gehört zum Einmaleins jeder Regierung: Unpopuläre Sparmaßnahmen am Anfang der Legislaturperiode zu setzen, damit sie gegen Ende
vergessen sind und vor dem Wahlkampf populäre Entlastungen die Diskussion beherrschen. Das Tempo, das die Koalition bei der Pensionsreform an den Tag legt, ist daher kein Wunder - dazu kommt, dass zynische Parteistrategen vielleicht spekulieren, im Schatten des Irakkriegs manches Unangenehme leichter durchsetzen zu können. Blöd bloß, dass die FPÖ dabei nicht wirklich mitspielen will.
Kritisieren doch die Blauen jetzt Pensionskürzungen, zu denen sie in ihrer Freude, doch in die Regierung zu dürfen, Ja und Amen gesagt haben. Die Unterschrift unter dem Koalitionsprogramm ist zwar erst wenige Wochen alt - die FPÖ versucht in den Detailverhandlungen zur Pensionsreform aber schon, die Vereinbarungen abzuändern. Politisch ist das nicht gerade ein Beweis für die Verlässlichkeit der FPÖ.
Inhaltlich hat sie aber Recht: Trägt doch die Pensionsreform die Handschrift des Finanz- und des Wirtschaftsministers - nicht aber jene des Sozialministers und der Frauenministerin. So wurde auf abmildernde Übergangsregelungen, die die FPÖ jetzt einfordert, im Koalitionsprogramm schlicht vergessen.
Sie sind aber notwendig: Die Tatsache, dass im Frühpensionistenland Österreich länger gearbeitet werden muss, ist unbestritten. Einem heute 58-jährigen Mann, der schon durch die Pensionsreform 2000 um eineinhalb Jahre länger arbeiten muss, jetzt aber kurz vor Pensionsantritt die Arbeitszeit wieder um 18 Monate zu erhöhen und quasi die Karotte Pension immer ein Stückchen weiter weg von der Nase zu halten, grenzt an Pflanzerei. Zumal der Arbeitsmarkt für Ältere nicht vorhanden ist und die Ausweichform Pension wegen Altersarbeitslosigkeit abgeschafft wird.
Insofern hat die FPÖ Recht, wenn sie auf Ausnahmen für Menschen kurz vor Pensionsantritt und für Arbeiter mit langen Versicherungsjahren ("Hacklerregelung") drängt - also keine Reform auf Kosten der Arbeitslosen machen will. Selbst wenn sie diese Ausnahmen durchsetzt, ändert das aber nichts am Grundproblem der Pensionsreform: Sie ist zwar prinzipiell überfällig - in der Form aber nicht gerecht.
Verschärft sie doch die Unterschiede zwischen Gewinnern und Verlierern des Pensionssystems weiter. Gewinner bleiben die zwei Millionen Pensionisten, den Jackpot haben die acht Prozent der Beamten und Politiker im Ruhestand, die Spitzenpensionen beziehen. Die Last der Pensionsreform vor allem auf die Schultern der drei Millionen Erwerbstätigen zu verteilen, die für eine niedrigere Pension länger arbeiten müssen als seinerzeit die nunmehrigen Pensionisten, ist weniger ein Generationenvertrag als ein Generationenkonflikt.
Noch deutlicher ist der Unterschied zwischen ASVG- Versicherten und Beamten und Bauern: Die Pensionen von ASVG-Versicherten werden empfindlich gekürzt - obwohl das ASVG-Pensionssystem zu 85 Prozent aus Beiträgen finanziert ist, jenes der Beamten hingegen nur zu 30 und das der Bauern zu 20 Prozent. Das üppigere Beamtenpensionsrecht für alle ab 35 Jahren beizubehalten, das ohnehin schon dürftigere ASVG- System aber für alle zu verschärfen, vergrößert bestehende Ungerechtigkeiten. Warum ist für unkündbare Beamte eine um Jahrzehnte längere Übergangsfrist notwendig als für ASVG-Versicherte?
Und noch eine Kluft vertieft sich durch die Pensionsreform: die zwischen Männern und Frauen. Schon jetzt sind Frauenpensionen um 53 Prozent niedriger als die der Männer. Wenn die Frauendomänen Teilzeitarbeit und Kinderbetreuungsphasen mit der Verlängerung der Durchrechnung durch eine niedrigere Pension bestraft wird, wächst der Unterschied weiter.
Die bittere, aber notwendige Pille Pensionsreform kann leichter geschluckt werden, wenn die Maßnahmen als fair empfunden werden. Das gehört genauso zum politischen Einmaleins wie das Timing von Belastungen.(DER STANDARD, Printausgabe, 28.3.2003)