Innenansicht: Justizanstalt Schwarzau in Niederösterreich.

Foto: Regine Hendrich

Manfred Michalke, Regisseur und Gründer des „Wiener Vorstadttheaters": "Selbst wenn es so wäre, dass verurteilte Mörder auf der Bühne stehen, müssen diese nicht zweifach kriminalisiert werden."

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Ab September hätten zehn Häftlinge "Gerettet", ein Theaterstück des Briten Edward Bond auf diversen Bühnen in Wien und Niederösterreich aufführen sollen. Das Projekt des "Wiener Vorstadttheaters", das sich als integratives Theater Österreichs versteht, war im Vorjahr von der SPÖ-Justizministerin Maria Berger genehmigt worden. Nach monatelangen Proben hat Bergers Nachfolgerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) kurzerhand beschlossen, lediglich die Premiere in der Justizanstalt Gerasdorf zuzulassen. Die Begründung: Vier der Darsteller dürften aufgrund ihrer Verurteilungen nicht öffentlich auftreten.

Für Manfred Michalke, Regisseur und Gründer des „Wiener Vorstadttheaters", das Produktionen mit gesellschaftlichen Randgruppen erarbeitet, steht fest, dass das Stück der Zensur und politischen Interessen zum Opfer gefallen ist. Seit dem Wechsel der Ministerinnen, wehe ein anderer Wind im Justizministerium erzählt Michalke.

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derStandard.at: Herr Michalke, welche Vorgaben hatten Sie als Sie im Oktober 2007 mit der Planung des Stückes begonnen haben?

Manfred Michalke: Wir hatten seitens des Ministeriums keinerlei Einschränkungen. Mit der Leitung der Justizanstalt Schwarzau und Gerasdorf wurden die Aufführung verschiedener Stücke besprochen und letztendlich "Gerettet" festgelegt. Bei der Auswahl der Darsteller sind wir wie bei einem gewöhnlichen Casting vorgegangen: Es waren irrsinnig viele Haftinsassen daran interessiert, mitzuspielen. Letztendlich waren bei der Auswahl der insgesamt zehn Männer und Frauen Talent und Wille entscheidend. Sprich, der Wille mit der Rolle etwas zu transportieren und eigene Probleme zu bewältigen. Unser Konzept lautete "Prävention durch Reflexion".

derStandard.at: Welche Rolle spielten dabei die Biografien der Haftinsassen? Katharina Swoboda, die Sprecherin von Bandion-Ortner meint, dass Projekt sei hinterfragenswert, da „Mörder Mörder spielen sollen".

Manfred Michalke: Bei all unseren bisherigen Projekten bestand absoluter Datenschutz. Ganz gleich ob die Darsteller nun Asylwerber, Behinderte oder eben Gefängnisinsassen waren. Das heißt, ihre Namen bleiben anonym. 

In diesem Fall wollte ich auch gar nicht wissen, weswegen die Darsteller verurteilt wurden. Selbst wenn es so wäre, dass verurteilte Mörder auf der Bühne stehen, müssen diese nicht zweifach kriminalisiert werden. Es sind Jugendliche, die anonymisiert auftreten und deren Vorgeschichten mich nichts angehen. Das hätte mich in meiner Arbeit beeinflusst, es hätten sich Aggressionen oder Mitleid eingestellt. Das Ganze sollte keine Mitleidsshow werden, sondern als Verarbeitungsmechanismus dienen. Das ist ein wesentlicher Bestandteil unseres künstlerischen Erfolges. Immerhin werden wir nicht von sozialen Institutionen gefördert, sondern erhalten Kunstförderungen. Und das ist auch der Grund, warum über uns für gewöhnlich im Kulturteil zu lesen ist, und nicht in der Chronik.

derStandard.at: In Deutschland, Dänemark und Großbritannien regen derartige Projekt schon lange nicht mehr auf. Warum wird hierzulande so viel Wind um Häftlingstheater gemacht?

Manfred Michalke: Nicht einmal die erzkonservativen Katalanen haben mit solchen Projekten Probleme. Die haben sogar eine TV-Show von Haftinsassen. Ich denke, es liegt am Restbestand der Denkungsweise, die unser Land so lange beherrscht hat. Ein gewisser Alltagsfaschismus wird in Österreich eben kultiviert. Da heißt es beispielsweise, die Haftinsassen würden belohnt, Theater sei Spaß und keine Arbeit, dabei ist das eine Arbeit, wie jeder handwerkliche Job auch.

Diese Denkungsweise spiegelt sich auch in den restriktiven Maßnahmen von Bandion-Ortners Kabinett wider: Plötzlich hat man sich sogar an der Wahl des Stückes gestoßen. Dabei werden die Gewaltszenen nur durch Schatten und Licht stilisiert, ohne die Aktion eines Darstellers.

derStandard.at: Die Premiere am 17. September soll ein Erfolg gewesen sein. Warum war die Anzahl des Publikums auf etwa 30 Personen beschränkt?

Manfred Michalke: Das war auch Folge der plötzlichen Zensur: Auf einmal hat die Vollzugsanstaltsdirektion entschieden, wer sich das Stück ansehen darf. Es durften weder Fotos, noch Interviews gemacht werden. Fernsehen und Radio wurden ausgeschlossen. Mir wurde sogar untersagt, mich vor der Premiere gegenüber Medien zu äußern. Einer meiner Mitarbeiterinnen, die ihre Diplomarbeit im Bereich Psychologie über das Projekt schreiben wollte, wurde diese wissenschaftliche Begleitarbeit verboten.

derStandard.at: Die U-Bahn Zeitung „Heute" titelte dieser Tage „Kulturförderung für Mörder empört alle" und empörte sich darüber, dass rund 30.000 Euro an Steuergeldern in den Sand gesetzt worden wären.

Manfred Michalke: Dass Steuergelder in den Sand gesetzt worden sind, ist nur bedingt wahr, denn die Grundkosten der Inszenierung wurden bereits durch die Sponsoren gedeckt. Einige Theater, die das Stück hätten aufführen wollen, hätten etwa die Kosten für Licht und Ton übernommen, oder die Bühne kostenlos zur Verfügung gestellt. Das niederösterreichische Berndorfer Stadttheater hatte bereits über 1.000 Karten für eine Schulvorführung verkauft. Für ein Projekt wie dieses, eine beachtliche Menge. Wenn sich gewisse Politiker nun aufregen, dass Häftlinge vor Schülern spielen, meine ich umgekehrt, dass so viele Pädagogen wohl wissen werden, was sie tun.
Die Einnahmen hätten dem Verein „Der Weg" zugute kommen sollen, der Haftentlassene unterstützt. Die Haftinsassen hätten so also ihr späteres neues Leben mitfinanziert.

derStandard.at: Wie soll es jetzt weitergehen?

Manfred Michalke: Tatsache ist, dass seit dem Wechsel Berger/Bandion-Ortner andere Kräfte am arbeiten sind, die mit dem Projekt nicht zufrieden sind. Was ich nicht verstehe ist, warum das Projekt nicht gleich im vergangenen September eingestellt wurde. Das ist doch unlogisch: Entweder übernehme ich ein Konzept, wie es ist, oder ich gebe gleich bekannt, was geändert werden soll. Stattdessen hat man uns monatelang proben lassen und die Weisung wurde uns nicht einmal persönlich mitgeteilt, sondern lediglich der Justizanstaltsdirektion.
Ich hoffe darauf, dass das Justizministerium seine Weisung zurücknimmt und dieses Politikum nicht auf den Rücken jugendlicher Haftinsassen ausgetragen wird. Wir wollen unbedingt weiterspielen. (Birgit Wittstock, derStandard.at, 1. Oktober 2009)