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Polanski nach einer Anhörung vor Gericht im Jahr 1977. Vergewaltigung verjährt in den USA nicht, zu Recht.
"Freiheit für Polanski" fordern Kulturschaffende weltweit angesichts der Verhaftung des polnisch-französischen Starregisseurs Ende September in der Schweiz. Eine Falle habe man dem Genie gestellt, der wegen eines Verbrechens, das er vor 32 Jahren begangen hat, nun in Haft genommen worden ist. Einen internationalen Haftbefehl gibt es erst die letzten Jahre gegen Roman Polanski, und die Schweizer Behörden wussten diesmal, wann er einreisen wird. Und es hat Klick gemacht.
Denn Polanski hat 1977 in den USA ein Kind vergewaltigt. Nach dem Urteil und einem Kurzaufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung floh er nach Europa. Eine Falle habe man ihm auch 1977 gestellt, irgendwie, hieß es auch damals: Eine Lolita-Falle. Und schmutzige alte Männer tappen in diese doch nur allzu oft!
Und auch heute kommen von Seiten der KünstlerInnenschaft wie MeinungsmacherInnen Wortmeldungen, die der Diskussion um die Verhaftung die alt bekannte Schlagseite geben: Es sei schon so lange her. Wem ist mit einem Prozess gedient? Es sei keine "richtige" Vergewaltigung gewesen. Letzteres meinte Whoopie Goldberg. Vielleicht denkt sie das, weil sie in der "Farbe lila" unter der Regie Steven Spielbergs eingeübt hatte, wie eine "richtige" Vergewaltigung auszusehen hat. Schließlich ist das ja Film, und nicht das echte Leben.
Das echte Leben des damals 13-jährigen Opfers nahm durch Polanskis Straftat und dem Bekanntwerden dieser eine negative Wendung: Sie war vergewaltigt worden. Sie wurde in der Presse als Klischee präsentiert, als Lolita, eine aufstrebende, sexuell erwachte und berechnende junge Frau. Machtgewinn, Karriereboost durch Sex - so wurde das gelesen. Polanski als erwachsener, machtloser Mann als Zielobjekt, dessen "Schwäche für junge Mädchen" ausgenutzt wurde, was er seinerseits ausnutzte - was ja jeder an seiner Stelle getan hätte. So sieht das der Regisseur selbst, wie er in einem Interview 1979 meinte: "Alle (Männer) wollen junge Mädchen ficken."
Das tun sie auch: Woody Allen tat es, Jerry Lee Lewis, R. Kelly, Paul Weller. Diese Vorzeige-Männer der Kulturindustrie wurden im Gegensatz zu Polanski nicht der Vergewaltigung überführt, so problematisch, weil so geläufig und als Kavaliersdelikt toleriert, das Phänomen auch ist. Wann beginnt die sexuelle Selbstbestimmung, kann ein junger Mensch ihre/seine Grenzen gegenüber einer viele Jahre älteren Person zu ihren/seinen Bedigungen überhaupt abstecken?
Im Fall Polanski erübrigt sich die Diskussion: ein 43-Jähriger, der einer 13-Jährigen Alkohol und Tabletten verabreicht, sie mit seinem Status, ja Nimbus einlullt - ihr Nein nicht akzeptiert, sie oral, vaginal und anal vergewaltigt, sich nach einem Deal mit der Staatsanwaltschaft wegen Beischlafs mit einer Minderjährigen für schuldig bekennt und dann flieht, ist ein klarer Fall für die Justiz. In den USA gibt es keine Verjährungsfrist bei Vergewaltigung, insofern spielt es keine Rolle, wie lange die Tat zurückliegt.
Wo Ansehen, Macht und Einfluss eine große Rolle spielen, der männliche Genius betont wird und das Weibliche als willfähriger "Enabler" in der Diskussion auftaucht, wird es den Opfern immer weh tun. Im Fall Polanski hat sich das Opfer gegen einen neuen Prozess ausgesprochen, denn es habe dem Täter verziehen. Dahinter steckt die Sorge um eine neuerliche Debatte, die sie wieder mit der Tat konfroniert und die sehr schnell eine Opfer-Täter-Umkehrung mit sich bringen kann. Die Opfer müssen sich Anschuldigungen aussetzen, die bei ihnen (Mit)Schuld orten. Wenn dies öffentlich über die Medien passiert, umso schwieriger. "Freiheit für Polanski" zu fordern ist nicht angebracht. Damit wird impliziert, dass Vergewaltigung schon nicht so schlimm ist. Zumindest wenn der Täter und nicht das Opfer berühmt ist. (Birgit Tombor, dieStandard.at, 7.10.2009)