Skulpturales Arrangement aus Baustellenmaterial: Heavy Work (stack) (2009) von Marita Fraser und Alex Lawler.

 

Foto: Fluc/Wagner

Reduktionistische Medienfassade und Projektionsfläche für Wunschvorstellungen: 1:2,35 (2009) von Sonja Gangl.

 

Foto: Fluc/Wagner

Städtische Kartographien als Universalsprache inszeniert: The Urban Alphabet (2009) von Nikolaus Gansterer.

 

Foto: Fluc/Gansterer

Wiederbelebung einer vergessenen Attraktion: Versetzung der Welt (2009) von Christian Mayer.

 

Foto: derStandard.at

Lichtdusche als Serviceobjekt für Nacht-Reisende: TS_001_LUX (2009) von Viktoria Tremmel und Andreas Strauss.

 

Foto: Fluc/Wagner

Ein Baldachin als erweiterer Raum: O.T. (Lichtung) (2009) von Johannes Vogl.

 

Foto: Fluc/Wagner

Der Bahnhofsvorplatz hat jetzt ein - nennen wir es bemerkenswertes - Dach, die Radwege sind mehr oder weniger wieder befahrbar, der Boden einheitlich gepflastert. Seit vergangenem Jahr hat sich einiges getan am Wiener Praterstern, sein Erscheinungsbild hat sich zum Teil täglich verändert. Nach mehr als fünf Jahren Dauerbaustelle, kann aber jetzt schön langsam von fertig die Rede sein. Voraussichtliches Bauende: November 2009.

In etwa zeitgleich mit der geplanten Fertigstellung des neuen Verkehrsknotenpunktes endet auch die vom Wiener Fluc bereits zum zweiten Mal veranstaltete Ausstellung Urban Signs - Local Strategies. Kunst greift seit vergangener Woche wieder in den öffentlichen Raum rund um das am Nordbahnhof gelegene Clublokal ein und reflektiert die ortsgebundenen Transformationsprozesse eines prototypisch urbanen Displays.

Bereits am Weg von der Praterstraße zum Veranstaltungsort passieren Besucher die Installation Heavy Work (stack) (2009), für die Marita Fraser und Alex Lawler Absperrblöcke zu einer Skulptur gestapelt haben. Die äußeren Ränder der acht teils recht ramponieren Betonklötze haben die beiden Künstler in Pastelltönen bemalt. Sie nehmen damit nicht nur die farbliche Gestaltung der 50er-Jahre-Architektur in unmittelbarer Umgebung des Pratersterns wieder auf, sondern markieren mit diesem minimalen Eingriff die Ready-mades als solche und unterscheiden sie von den übrigen Baustellenutensilien, die den Praterstern immer noch zieren.

Ähnlich reduziert gibt sich auch Sonia Gangls Installation 1:2,35 (2009) an einer der Außenwände des Musikclubs. Mit zwei dicken schwarzen Cinemascope-Balken, die durch einen schmalen beleuchteten Schlitz voneinander getrennt werden, befragt die Künstlerin die medialen Nutzungsökonomien des öffentlichen Stadtraums. Anstatt Passanten, wie auf herkömmlichen Medienfassaden, mit willkürlichen Bewegtbildern zu bombardieren und somit zum alles durchdringenden Informationssmog beizutragen, hält Gangl den Leuchtkästen und Werbetafeln der Kebab- und Pizzabuden am Platz eine minimalistische Projektionsfläche entgegen, deren Bildinhalt erst von seinen Betrachtern definiert werden muss/kann.

Dem Bahnhof als Ort der Kommunikation und Wissensproduktion nähert sich Nikolaus Gansterer mit einer Intervention auf den schwarzen Wandvertäfelungen des Gleiskörpers. In The Urban Alpahabet (2009) abstrahiert der Künstler Kartographien internationaler Städte wie Amsterdam, Berlin, Istanbul oder Jerusalem, um aus geographischen wie städteplanerischen Strukturen ein 26-teiliges Alphabet zu entwerfen. Aus sich zufällig gebärdenden Piktogrammen generiert er eine Art Universalsprache, die den globalisierten und somit gemeinhin verständlichen Zeichencharakter des Ortes einmal mehr herausstellen soll.

Als gleichzeitigen Ausgangs- und Endpunkt einer unbestimmten Reise markiert Christian Mayer ebenfalls den Platz vor dem Fluc. Mit Versetzung der Welt (2009) reaktiviert er einen überdimenionalen Globus, der sich seit den 1960er Jahren direkt neben dem Planetarium im grünen Prater befindet und der dort - im Laufe der Zeit - etwas an Attraktivität eingebüßt hat. Die im Durchmesser mehr als zwei Meter große, drehbare Weltkugel, die über eine Wendeltreppe auch begangen werden kann, wurde bei der Eröffnung von Urban Signs - Local Stratgies von ihrem ursprünglichen Standort in Form einer Performance verabschiedet und wird in den kommenden Tagen ihren neuen Platz zwischen Fluc und Bahnhof einnehmen.

"Gehen Sie rein!" fordert eine Aufschrift auf Viktoria Tremmels und Andreas Strauss' Installation TS_001_LUX (2009) Passanten auf, sich eine Lichtdusche in der Wellblechhütte zu gönnen, die mit einem Vorhang aus feinen weiß schimmernden Schnüren verhangen ist. Gleißendes Licht verströmt das Objekt in der Nacht und soll Tageslicht suchende Menschen wie die Motten das Licht einer Glühbirne anziehen. Trotz seiner 15000 Lux starken Beleuchtung, verschwindet das Objekt tagsüber im Dickicht der vorgelagerten Baustelle und fügt sich als Kulisse in das arbeitssame Treiben am Bahnhofsvorplatz ein.

Ähnlich immersive Wirkung hat auch Johannes Vogls Installation o.T. (Lichtung) (2009) auf einer kürzlich angelegten Wiese in der Venediger Au. Unter dem auf mehreren Metern Höhe mittels Stangenkonstruktion angebrachten Baldachin kommt das Bild einer Lichtung in einem dicht bewachsenen Wald zum Vorschein und scheint auf den unmittelbar auf der anderen Straßenseite gelegenen grünen Prater anzuspielen. Bekannt aus einem militärischen Kontext, wo es zur Tarnung verwendet wird, zieht Vogl mit dem Netz eine zusätzliche Informationschicht zwischen Betrachter und Himmel ein und erweitert die Wahrnehmungbedingungen der Wirklichkeit auf analoge Weise, wie heute von digitalen Datenträgern bekannt.

Hat sich die erste Ausgabe von Urban Signs - Local Strategies noch in unmittelbarer Nähe des Flucs abgespielt, so haben sich die Kuratoren Ursula Maria Probst, Walter Seidl und Martin Wagner dieses Jahr dafür entschieden, den Wirkungsradius der Kunstzone beachtlich auszuweiten und auch den umliegenden Raum auf seine Prägung durch kommerzielle und institutionelle Interessen hin zu befragen. Mit dem voraussichtlichen Ende der Bauarbeiten am Praterstern werden auch die Installationen wieder demontiert.

Schade, denn die zuletzt in Wien häufig gestellte Frage "Wem gehört die Stadt?" hat hier eine - zumindest zeitlich begrenzte - Antwort gefunden: den Künstlern, dem Fluc, den Passanten - niemandem gehört die Stadt, aber jeder kann sich ihrer ermächtigen. Eine Fortsetzung des Projekts ist deshalb auch unter den im kommenden Jahr mit Sicherheit veränderten Bedingungen eines dann vermeintlich funktionstüchtigen und properen Bahnhofs wünschenswert. Unbedingt. (fair)