Korneuburg - Im Fall des in einem Kremser Supermarkt erschossenen 14-jährigen mutmaßlichen Einbrechers belasten die Gutachten den Polizeibeamten massiv, der am 5. August den tödlichen Schuss abgegeben hatte. Die Feststellungen, die der Gerichtsmediziner Christian Reiter, der Ballistiker Ingo Wieser und der Chemiker Reinhard Binder nun der ermittelnden Staatsanwaltschaft Korneuburg vorgelegt haben, sind mit der Version des Beamten absolut nicht in Einklang zu bringen, das dieser bei der gerichtlich angeordneten Tatrekonstruktion angegeben hatte.

Schuss in den Rücken aus 2 Meter Entfernung

Demnach wurde der Schuss in den Rücken aus einer Entfernung von 1,8 bis 2 Metern abgegeben. Ein Beamter dürfte sich den Feststellungen der Sachverständigen zufolge auch nicht hingekniet haben, wie er behauptete. Vielmehr gehen die Experten davon aus, dass der Polizist im Stehen dem 14-Jährigen in den Rücken schoss.

Aussage der Polizistin stimmt mit Rekonstruktion überein

Im Gegensatz zur Version des Beamten wurden die Aussagen der Polizistin, die auf den 17-Jährigen gefeuert hat und diesem mit einem Projektil beide Oberschenkel durchschoss, vollinhaltlich von den Gutachtern bestätigt. Zwischen ihren Angaben und den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Sachverständigen soll es keine Widersprüche geben.

Anklage könnte sich ausweiten

Mit den Erkenntnissen der Sachverständigen könnte es dem Polizeibeamten, der den tödlichen Schuss abgebeben hatte, schwer fallen, die von ihm behauptete Notwehrsituation aufrechtzuerhalten. Sollte die Staatsanwaltschaft Korneuburg gegen ihn Anklage erheben, könnte weit mehr als die bisher im Raum stehende fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen herauskommen. Es ist nun Aufgabe der Anklagebehörde zu beurteilen, ob für den Polizisten eine Gefahr für Leib und Leben gegeben war, als dieser sich mit einer gezückten Pistole in rund zwei Meter Entfernung einem mutmaßlichen Einbrecher gegenübersah und abdrückte. Sollte die Staatsanwaltschaft dem Schützen keine Notwehr zubilligen, könnte dieser durchaus wegen eines Vorsatzdelikts vor Gericht gestellt werden: Auf Basis der vorliegenden Gutachten wäre im Fall einer Anklageerhebung auch ein Verfahren wegen schwerer Körperverletzung mit tödlichen Ausgang (Strafrahmen: Ein bis zehn Jahre) oder absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (Strafrahmen: Fünf bis zehn Jahre) vorstellbar.

Polizistenaussage

Der Polizist hatte zuletzt bei der gerichtlich angeordneten Tatrekonstruktion angegeben, der 14-Jährige und sein mittlerweile 17-jähriger Komplize wären im Begriff gewesen, mit einer Gartenharke bzw. einem Schraubenzieher auf ihn und seine Kollegin loszugehen. Zur Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs habe man daher von den Dienstwaffen Gebrauch gemacht.

Dabei will sich der Beamte hingekniet und auf den ihn zukommenden 14-Jährigen gezielt haben. Unmittelbar vor der Schussabgabe habe er allerdings ein Geräusch gehört, sich kurz zur Seite gedreht, und als er sich wieder in Richtung des Burschen umwandte, sei der Schuss gebrochen. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er erkannt, dass der Jugendliche ihm mittlerweile den Rücken zugekehrt habe.

Sicht war gegeben

Diese Darstellung stimmt nicht mit den Erkenntnissen der Sachverständigen überein, wie die APA am Mittwoch aus zuverlässiger Quelle erfuhr. Fest dürfte in der Zwischenzeit überdies auch stehen, dass die Beleuchtungsverhältnisse in jenem Raum, in dem es zur Konfrontation kam, nicht so schlecht waren, dass die Beamten gar nichts mehr erkennen konnten.

Information der Öffentlichkeit nicht geplant

Nähere Informationen aus dem Gutachten für die Öffentlichkeit sind jedoch nicht geplant, betonte Friedrich Köhl, der Sprecher der Korneuburger Staatsanwaltschaft: "Den Inhalt wird die Staatsanwaltschaft nicht kommunizieren"

Zeitpunkt einer Anklageerhebung noch unklar

Wie lange es noch dauern werde, bis der Vorhabensbericht der Korneuburger Anklagebehörde fertig ist, wusste der Sprecher der Korneuburger Staatsanwaltschaft nicht: "Da möchte ich mich nicht festlegen." Nachdem der Vorhabensbericht sowohl von der Oberstaatsanwaltschaft Wien als auch dem Justizministerium abgesegnet werden muss, steht der Zeitpunkt einer möglichen Anklageerhebung zurzeit noch genauso in den Sternen wie ein möglicher Prozesstermin. 

Anklage gegen 17-Jährigen in ein bis zwei Wochen

Zeitlich näher dürfte dagegen ein Verfahren gegen den 17-jährigen mutmaßlichen Komplizen des getöteten 14-Jährigen liegen. Eine Anklage gegen den bei dem Vorfall im August verletzten Jugendlichen soll laut ORF NÖ in den kommenden ein bis zwei Wochen fertiggestellt sein.

Am 5. August hatten zwei Polizeibeamte - ein Mann und eine Frau - nach Auslösung des stillen Alarms im Merkur-Markt in Krems-Lerchenfeld auf zwei mutmaßliche Einbrecher geschossen. Der 14-jährige Florian P. wurde dabei tödlich in den Rücken getroffen, ein mittlerweile 17-Jähriger erlitt Oberschenkeldurchschüsse. Während die Polizisten behaupteten, einen Angriff abgewehrt zu haben, gab der 17-Jährige an, dass er und sein Komplize bereits auf der Flucht gewesen seien. Die beiden Polizeibeamten, gegen die wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen ermittelt wird, stehen wieder im Dienst. Der 17-jährige mutmaßliche Komplize von Florian P. bleibt vorerst bis Mitte Oktober in U-Haft. (APA)