Jerusalem - Nach dem jüdischen Laubhüttenfest, bei dem am Montag rund 30.000 Gläubige an der Klagemauer gebetet hatten, wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation der Gewalt in Jerusalems Altstadt. Der Führer der Islamischen Bewegung in Israel, Scheich Raed Salah, rief am Dienstag Muslime auf, sofort zur Verteidigung des Tempelbergs zu eilen. Israelische Regierungsmitglieder forderten ein Verbot der Islamischen Bewegung in Israel und warfen deren Repräsentanten Hetze vor. Vizepremier Silvan Shalom verlangte die Festnahme Salahs. Aus Furcht vor neuer Gewalt bei einem traditionellen Marsch gläubiger Juden in Jerusalem am Dienstagnachmittag wurde die Polizeipräsenz weiter verstärkt.

Der palästinensische Politiker Saeb Erekat warf Israel am Dienstag vor, die Situation in Jerusalem absichtlich anzuheizen. "Dies ist eine sehr gefährliche Situation", sagte der Chefunterhändler. "Unsere größte Angst ist es, dass die Ausschreitungen sich verschärfen werden, wenn Israel seine Unterdrückung intensiviert, mehr Menschen festnimmt und die volle Macht seiner Armee gegen die Palästinenser einsetzt." Der jordanische König Abdullah II. hatte während eines USA-Besuches Israel vorgeworfen, Schritt für Schritt auf die Vertreibung der Christen und Muslime aus Jerusalem hinzuarbeiten. Die israelische Siedlungspolitik habe das Ziel, die "Identität" der den drei monotheistischen Weltreligionen heiligen Stadt so zu verändern, dass dort eines Tages keine Christen und Muslime mehr leben, hatte der haschemitische Monarch erklärt.

Die Palästinenser sind verbittert darüber, dass Israel den auch für Muslime heiligen Tempelberg während des jüdischen Laubhüttenfests für arabische Personen unter 50 Jahren gesperrt hat. Der populäre muslimische Prediger Scheich Yussuf al-Karadawi hat für kommenden Freitag zu einem "Tag des Zorns" in Jerusalem und zu arabischer Unterstützung für die Al-Aksa-Moschee aufgerufen. Die Spannungen zwischen der arabischen Bevölkerung im besetzten Ostteil Jerusalems und Israel spitzen sich seit Monaten gefährlich zu. Gründe dafür sind unter anderem die Bauaktivitäten jüdischer Siedler, die Zwangsräumung von Häusern, in denen arabische Familien lebten, sowie die umstrittenen archäologischen Grabungen in dem mehrheitlich von Arabern bewohnten Ortsteil Silvan. Israelische Medien beschreiben Ostjerusalem als Pulverfass, das jederzeit explodieren könne.

Der Streit um Jerusalem ist eines der Hauptprobleme im Nahost-Konflikt. Israel eroberte 1967 den bis dahin von Jordanien verwalteten Ostteil der Stadt. Israels Hauptstadt-Anspruch wird international nicht anerkannt, deshalb unterhalten fast alle Staaten der Welt ihre Botschaften in Tel Aviv. Die Proklamation Jerusalems zur "ewigen und unteilbaren" Hauptstadt Israels durch das israelische Parlament 1980 ist von der UNO-Vollversammlung mehrmals für illegal und "null und nichtig" erklärt worden. Die Palästinenser beanspruchen den Ostteil Jerusalems als ihre Hauptstadt. Ein Abtreten der Kontrolle über die Altstadt lehnt die Mehrheit der israelischen Bevölkerung strikt ab. (APA)