Vilnius/Helsinki - Litauen steht dieser Tage im Bann eines spektakulären Doppelmordes, der Auswirkungen bis in die hohe Politik haben könnte. Der 47-jährige Richter Jonas Furmanavicius wurde am Montag auf offener Straße in Kaunas ermordet. Nur wenige Stunden später fand man in der zweitgrößten Stadt des Landes eine 29-jährige Frau erschossen auf. Die Polizei und Medien vermuten, dass die Morde mit Vorwürfen gegen Furmanavicius und zwei weitere Männer wegen Pädophilie und Kindesmissbrauchs zusammenhängen.

Furmanavicius wurde am Montag auf der Fahrt zur Arbeit ins Kaunaser Landesgericht nach Mafia-manier hingerichtet. Augenzeugen sahen, wie ein weißer VW-Bus sich quer vor dem Pkw des Richters auf die Fahrbahn stellte. Als Furmanavicius ausstieg, wurde er von vier Schüssen getroffen. Drei davon offenbar gezielt in den Unterleib und einer in den Kopf.

Während der am Dienstag Hauptverdächtige, der Kaunaser Geschäftsmann Drasius Kedys, flüchtig war, leiteten Abgeordnete im Parlament in Vilnius ein Verfahren zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses ein. Einer der beiden anderen im Zusammenhang mit dem angeblichen Kindesmissbrauch genannten Männer ist der Kaunaser Gemeindepolitiker Andrius Usas. Er war früher Mitglied der Arbeitspartei des umstrittenen Geschäftsmanns und Politikers Viktor Uspaskich sowie Berater des früheren Parlamentspräsidenten Viktoras Muntianas. Zuletzt schloss sich Usas einer anderen Partei an.

Kedys hatte in den vergangenen Monaten durch Briefe und DVDs an verschiedene litauische und europäische Politiker sowie im Internet - auch über das Videoportal Youtube - verzweifelt versucht, auf das Schicksal seiner fünfjährigen Tochter aufmerksam zu machen. Diese soll von drei Männern missbraucht worden sein. Kedys behauptete zudem, die Mutter seiner Tochter habe dazu nicht nur ihr Einverständnis gegeben sondern dafür auch Geld kassiert. Ein von Kedys angestrengtes Gerichtsverfahren in Kaunas verlief aus undurchsichtigen Gründen im Sand.

Bei der Stunden nach Furmanvicius ermordeten 29-Jährigen handelt es sich laut Medien um die Schwester der Exfreundin des mutmaßlichen Täters. Die Polizei geht von einem Zusammenhang aus. Der Vater des 37-jährigen Kedys war am Dienstag ebenfalls unauffindbar und wird von der Polizei als Zeuge oder möglicher Mittäter gesucht. Jener VW-Bus, den der oder die Mörder vermutlich benutzten, wurde sichergestellt. (Andreas Stangl, DER STANDARD, Printausgabe, 7.10.2009)