Bild nicht mehr verfügbar.

Charles Darwin: Seine Evolutionslehre wurde - vor allem von deutschen medizinischen Ideologen - zum "Darwinismus" verfälscht, mit furchtbaren Folgen.

Foto: REUTERS/Royal Mail

Mit Hans Rauscher sprach er über deren Umsetzung, etwa bei Jugendgewalt.

* * *

STANDARD: Ihr letztes Buch, "Das kooperative Gen", hat eine Kontroverse ausgelöst. Man hat Ihnen vorgeworfen, die Erkenntnisse Darwins zu ignorieren und ein nicht beweisbares Gen zu erfinden, das uns zur Kooperation zwingt.

Bauer: Über Charles Darwins Erkenntnis der Evolution zu diskutieren ist völliger Unsinn. Sie ist einen Tatsache, absolut keine Theorie mehr. Mein Buch ist ja eine große Hommage an den großen Darwin.

STANDARD: Wogegen Sie sich wenden, ist primitiver Darwinismus - wie der Hitlers, wonach das Leben ein ewiger, unbarmherziger Kampf sei.

Bauer: Genau. Die meisten Menschen, vor allem aber auch meine biologischen Kollegen, wissen aufgrund fehlender historischer Erkenntnisse nicht den Unterschied zwischen Darwin und der Evolutionstheorie und Darwinismus. Darwinismus tauchte in den Gedanken des deutschen Theologen und Mediziners Ernst Haeckel auf, der Darwins Gedanken im deutschsprachigen Raum bekanntmachte. Er versuchte aber, daraus eine Weltanschauung zu machen, war auch Mitglied der Gesellschaft für Rassenhygiene. Er wollte aus Darwin eine neue Moral konstruieren, die die alte christlich-jüdische ersetzen sollte: die humanistische Moral sei Gefühlsduselei, weil sie der Selektion entgegenwirkt.

STANDARD: Der Darwinismus steckt uns aber immer noch in den Knochen.

Bauer: Die Analyse der letzten acht Jahre hat die phänomenale Erkenntnis gebracht: Ein Großteil unseres Erbguts besteht aus genetischen Werkzeugen, die vom Organismus aktiviert werden können. Diese Werkzeuge, sie heißen Transposons, sind in der Lage zu duplizieren. Wenn eine Zelle in eine schwere existenzielle Bedrohung kommt, dann hebt sie die Hemmung dieser Transposons auf und fängt an, ihr eigenes Erbgut umzubauen, in der Hoffnung, dass sie durch eine Neuorganisation eine Variation schafft, mit der sie der Bedrohung entkommt. In den Organismen steckt ein kreatives Potenzial, in dem Sinn, dass immer wieder neu arrangiert und kombiniert wird, was zusammenpasst. Das ist ein großes kooperatives Geschehen.

Das Konzept von Richard Dawkins, Gene seien Egoisten, die miteinander kämpfen, ist die Übertragung der Ideen des Frühkapitalismus. Aber im Kern der Biologie steht die Kooperation und Kommunikation, und das ist die Botschaft meines Buches. Ich stehe dabei voll auf dem Boden der Wissenschaft, ich präsentiere wissenschaftliche Erkenntnisse.

STANDARD: Wir stehen vor dem Phänomen einer Gewalt junger Männer, die immer brutaler wird. Gibt es darauf eine Antwort mit Ihrem Instrumentarium? Sie sprechen in Ihrem Buch "Das Gedächtnis des Körpers" davon, dass Umwelteinflüsse auch Gene verändern können.

Bauer: Die Hirnbiologie lehrt uns, dass die Motivationssysteme, die unsere Grundmotivation steuern, auf soziale Akzeptanz ausgerichtet sind. Das wichtigste Grundmotiv des Menschen ist, von anderen angenommen zu werden. Die Aggression ist sehr wohl eine biologisch verankerte Tatsache, sie ist aber ein Bereitschaftsprogramm, das ins Spiel kommt, wenn ein Individuum in Schwierigkeiten kommt. Bei diesen Jugendlichen muss extrem viel falsch gelaufen sein. Sie haben nicht gelernt, sich um soziale Akzeptanz zu bemühen. Im Gegenteil, soziale Anerkennung gibt es dafür, dass man Gewalt ausübt.

STANDARD: Auffällig ist das Fehlen von Mitleid bei diesen Tätern.

Bauer: Der Mensch hat ein Empathiesystem, sogenannte Spiegelneuronen, mit denen wir mitfühlen - die können durch Traumatisierung ebenfalls schwer beschädigt werden. Das ist auch neurobiologisch untersucht worden.

STANDARD: Zur Verdeutlichung: Da hat sich physisch etwas verändert in den Neuronen?

Bauer: Wir nennen das Neuroplastizität - speziell unser Nervensystem entwickelt sich nicht nur durch die Kommandos der Gene, sondern auch durch Umwelteinflüsse. Trainieren oder Nichttrainieren dieser Nervenstrukturen kann sie stärken oder schwächen.

STANDARD: Darüber hat man sich früher lustig gemacht.

Bauer: Die ganz alte autoritäre Erziehung war natürlich falsch, aber auch die 1968er haben den Fehler gemacht, zu vergessen, dass man auch in einer nichtautoritären Erziehung Führung braucht. Eltern und Erzieher müssen sich zu Gut und Böse bekennen, sie müssen belohnen und bestrafen. Wir haben ein riesiges Erziehungsdefizit in den Elternhäusern, und wir haben die Schulen nicht angepasst. Dieses Vakuum ist durch problematische Medienangebote gefüllt worden, die mit Gewalt und Soziopathie zu tun haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 07.10.2009)