Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks gibt es nur einen einzigen Politiker in den postkommunistischen Reformstaaten, der fast zwanzig Jahre lang ununterbrochen eine prägende Rolle in der Politik seines Landes spielt: der 1941 geborene Nationalökonom Václav Klaus; Staatspräsident Tschechiens seit 2003. Heute blickt die ganze EU gebannt auf die Prager Burg, ob auch Klaus nach dem deutlichen Votum der Iren den EU-Vertrag von Lissabon endlich unterzeichnen wird.

Im Publikum fast 500 Millionen Zuschauer. Auf der Bühne beginnt eine Vorstellung mit einem einzigen Protagonisten - Darsteller, Autor und Regisseur. Václav Klaus." So beschreibt die Prager Tageszeitung Dnes die Schlüsselrolle des tschechischen Präsidenten. Wer hätte das im Herbst 1989 (am 12. November) gedacht, als der damals im Westen völlig unbekannte Mitarbeiter des Prager Instituts für Prognostik im ORF-Oststudio über die Systemkrise mit einer slowenischen Soziologin und einem deutschen und ungarischen Publizisten diskutiert hat. In einer Besprechung der von mir geleiteten Sendung charakterisierte Kurt Vorhofer in der Kleinen Zeitung Klaus als einen „akademischen Schwejk", der Dinge, auf die es ankomme, mehr zwischen den Zeilen sage, zumal er noch auf die stark vereisten Zustände in seinem Land Bedacht nehmen müsse.

Er war keineswegs ein Rebell wie etwa Václav Havel nach der Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten im August 1968. Trotzdem trat Klaus in den Tagen der „samtenen Revolution" ohne zu zögern auf der Seite des „Bürgerforums " auf. Im Jahr darauf war er schon Finanzminister, und nach der Gründung seiner eigenen Partei rückte dieses große politische Talent 1992 zum Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik auf.

Mit seinem atemberaubenden Aufstieg sind drei Ereignisse untrennbar verbunden: Er war Einpeitscher und Architekt der marktwirtschaftlichen Reformen und stellte auch die Weichen für die friedliche Scheidung der Tschechen und Slowaken im Jahr 1992. Zugleich dominierte der Kampf der beiden Václavs (Havel als Staatschef und Klaus als Ministerpräsident) um Macht und Einfluss in den Neunzigerjahren die politische Szene.

In den Jahren seiner Präsidentschaft scheint nun Klaus - sowohl bei den Intrigen, die zum Sturz der bürgerlichen Regierung ausgerechnet in der Periode des EU-Rats-Vorsitzes führten, wie auch jetzt in seinem einsamen Kampf gegen die Verabschiedung des von beiden Kammern des Parlaments bereits längst bewilligten Vertrags von Lissabon - genau das zu tun, was er seinerzeit in der Präsidentschaft Havels lautstark und wiederholt verurteilt hatte.

In den zwei Jahrzehnten seit der denkwürdigen Oststudio-Sendung haben wir einander oft bei Interviews und Konferenzen getroffen. Bei den Dreharbeiten für ein TV-Porträt zeigte er uns stolz das mit einer warmen persönlichen Widmung versehene Bild mit Margaret Thatcher in seinem Arbeitszimmer. Die „Eiserne Lady" bewies aber trotz Vorbehalten Kompromissfähigkeit in Schlüsselfragen der Deutschland- und Europapolitik. Man kann nur hoffen, dass Václav Klaus die Blockade des Lissabon-Vertrags bald aufgibt, da die Fortsetzung vor allem dem eigenen Land und auch seinem Lebenswerk schweren Schaden zufügen würde. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2009)