"Dass jeder etwas für ein Studium zahlen soll, gehört zu den Grundprinzipien" , sagt Ex-Stanford-Präsident Gerhard Casper.

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Standard: In Österreich ist wieder einmal ein Streit um Studiengebühren ausgebrochen. 2001 wurden sie eingeführt (363,63 Euro pro Semester, 727 Euro im Jahr), 2008 de facto (mit ein paar Ausnahmen) wieder abgeschafft. Ihre Meinung dazu?

Casper: Ganz einfach. Das läuft hinaus auf eine Finanzierung des Mittelstandes und der oberen Mittelschicht durch die Armen - und das ist unverantwortlich.

Standard: Stanford hat 2008 die Studiengebühren für alle Studierenden gestrichen, deren Eltern weniger als 100.000 Dollar (67.680 Euro) Jahreseinkommen haben. Bei weniger als 60.000 Dollar (40.608 Euro) sind auch Unterkunft und Verpflegung gratis. Ein Eigenbetrag von 4500 Dollar (3046 Euro) pro Jahr bleibt. Gleichzeitig wurden die Studiengebühren von 34.800 auf 36.030 Dollar (24.385 Euro) angehoben. Inklusive der Kosten für Unterkunft und Verpflegung kostet ein Stanford-Jahr rund 47.200 Dollar (31.945 Euro). Ist das soziale Gestaltung von Studiengebühren?

Casper: Zusätzlich zu den erwähnten Beihilfen gibt Stanford sehr großzügige Teilstipendien. Dass jeder etwas zahlen soll, gehört zu den Grundprinzipien, allen Studenten und ihren Familien klarzumachen, dass unsere Leistungen in keiner Weise umsonst erbracht werden können. Die Studenten können ihren persönlichen Beitrag etwa durch sogenannte "work study" -Programme ableisten. Mindestens 60 Prozent der Stanforder Undergraduate-Studenten bekommen finanzielle Beihilfe. Graduate-Studenten in den PhD-Programmen werden in der Regel voll finanziert - einschließlich Uni-Gebühren.

Standard: An den österreichischen Universitäten sind Akademikerkinder mehr als zweieinhalbfach überrepräsentiert gegenüber ihrem Anteil in der Bevölkerung. Was kann man dagegen tun?

Casper: Die Universitäten müssen in die Schulen gehen und versuchen, ein weitverbreitetes Interesse an der Wissenschaft zu wecken. Damit kann man nicht warten, bis die Leute Matura gemacht haben und dann an der Uni erscheinen. Das muss man schon vorher anfangen. Das ist natürlich eine schwierige Aufgabe und kostet auch Geld.

Standard: Von Ihnen stammt das Zitat "Nichts ist wichtiger als die Qualität der Wissenschafter und Studenten" . Sollen sich die Unis ihre Studierenden selbst aussuchen können? Ab wann und wie?

Casper: Wenn ich eine Reform durchführen könnte, dann würde es ohne Frage die sein, den Universitäten die Auswahl ihrer Studenten zu überlassen. Ich glaube, in der gegenwärtigen Struktur mit Bologna ist die große Chance der österreichischen Universitäten, den Bachelor ernst zu nehmen; eine gute Ausbildung zu bieten, den Bachelor aber auch als eine Auslese zu sehen. Das heißt, nach dem abgeschlossenen Bachelor sollte die Zulassung zu den weiterführenden Graden sehr beschränkt werden. Da haben die Universitäten Chancen, die sie jetzt vielleicht wieder verlieren, wenn jeder auch einen Master dranhängen würde.

Standard: Sie sagen auch, zu den Hauptsünden gehört "das weitverbreitete Missverhältnis von Universitätskapazitäten und Studentenzahlen" . Das passt zu Österreich. Es leistet sich "freien Hochschulzugang" und keine Studiengebühren.

Casper: Man kann nicht beides haben. Man muss bereit sein zu sagen: "Wenn wir erstklassige Lehre und Forschung haben wollen, dann kann die Uni nur so und so viele Studenten aufnehmen, und an jeden einzelnen von ihnen sind hohe Qualitätskriterien zu stellen." Die besten amerikanischen Universitäten haben in der Regel ein Betreuungsverhältnis von einem Professor zu zehn Studenten - maximal 15 bis 20. Was realistisch ist, muss lokal diskutiert werden. Was ganz sicher ist, ist, dass man nicht immer mehr Studenten die Universitätsausbildung ermöglichen kann, ohne dass man über die Konsequenzen nachdenkt.

Standard: Was können oder müssen die Unis aus der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise lernen?

Casper: Ob die Wirtschaftswissenschaften, so wie sie konstruiert waren, eine Mitverantwortung tragen an dem, was geschehen ist - Stichwort Deregulierung der Finanzmärkte -, ist, glaube ich, schon zu bejahen. Das würde bedeuten, dass sich die Wirtschaftswissenschaften ändern müssen. Sie müssen vor allem Ideologie von Wissenschaft unterscheiden. Sie müssen ihre Annahmen und Hypothesen selbst wieder infrage stellen und neue Elemente aufnehmen. Das wird auch geschehen. Ich mache mir über die Wirtschaftswissenschaften keine Sorgen.

Standard: Müssen sich die Wissenschafter auch intensiver in gesellschaftliche Diskurse einmischen?

Casper: Ich bin mehr ein Abstinenzler auf diesem Gebiet. Wissenschafter, die sehr viel Politik betreiben, enden am Ende in der Politik. Ich möchte nicht, dass ein Professor seinen Katheder benutzt, um die Studenten von seiner Politik zu überzeugen. Das ist eine Sünde, die jetzt auch ziemlich oft begangen wird. Ich hab natürlich nichts dagegen, dass Professoren zu politischen Kontroversen Stellung nehmen, aber grundsätzlich sollten sie es immer als Einzelperson tun. Nie als Professor Casper, nie als Präsident Casper, sondern einfach als Gerhard Casper. Und wenn man das in Grenzen hält, ist das völlig legitim. Aber man muss absolut darauf achten, dass im Hörsaal Politik keine Rolle spielt, oder, wenn es unvermeidbar ist, dann muss ich den Studenten sagen: "Das, was ich jetzt sage, ist nicht wissenschaftlich abgesichert, sondern das ist meine eigene Meinung, die ist mir sehr ernst, deshalb sage ich es auch, aber bitte, glaubt nicht, dass es Wissenschaft ist." (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2009)