Karoline Simonitsch: "Was macht Communities und Co. so erfolgreich? Die weitestgehende Verschonung von Werbung und allumfassender Kommerzialisierung. Das passt natürlich mit einem wirtschaftlichen Geschäftsmodell nicht wirklich zusammen."

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New-Media-Expertin Karoline Simonitsch erklärt im derStandard.at-Interview, was Unternehmen falsch machen, wenn sie auf den Social-Networks-Zug aufspringen wollen und wie es funktionieren kann.

derStandard.at: Social Networks wie Twitter, Facebook, MySpace und Co. verdienen derzeit ihr Geld großteils über Werbung. Wie relevant sind Social Networks für die Wirtschaft überhaupt?

Karoline Simonitsch: Soziale Netzwerke sind für die Wirtschaft schon allein durch ihre inzwischen unglaubliche Verbreitung und Nutzungsintensität - vor allem bei der jungen, für die Werbewirtschaft überaus interessanten Zielgruppe - sehr relevant. Konsumenten organisieren ihr Leben, ihren Konsum und Lifestyle vielfach digital - über soziale Netzwerke. Man denke an Berichte von Studenten die sich teilweise ein Leben ohne Facebook & Co. kaum mehr vorstellen können. Wir müssen hier zwischen Wirtschaftlichkeit und Relevanz für die Wirtschaft unterscheiden. Relevant für die Wirtschaft ist auch wenn ein großer Konsumententeil etwas nutzt - ohne dafür zu bezahlen - die Mediennutzungszeit fehlt anderen klassischen Medien.

derStandard.at: Unternehmen müssen also schauen, wo sie im Netz Zugang finden?

Simonitsch: Der Tag hat eben nur 24 Stunden. Diese werden derzeit gerade vollkommen neu verteilt. Die "Wahrnehmung" von: "Welche Medien brauche ich unbedingt?" hat sich in den letzten Jahren total verändert. Unternehmungen/Marken wollen und müssen auf diesen Zug aufspringen und versuchen, über entsprechende Präsenz in diesen "neuen Medien" den Anschluss nicht zu verlieren. Produkte und Unternehmen können sich auf Facebook beispielsweise Fans erobern. Wenn richtig und gut gemacht, ist das sicherlich ein Weg, den Anschluss an relevante Kundengruppen nicht zu verlieren.

derStandard.at: Was heißt hier "richtig und gut"?

Simonitsch: Die Marken folgen heute den KundInnen - nicht umgekehrt. Für Werbung ist hier jedoch äußerste Vorsicht geboten. Denn ein "Freund" spamt einen anderen nicht. Das heißt: Werbung nur in kleinen Dosen, es geht eher um Kommunikation und Interaktion mit seinen "Fans" und Zielgruppen. Für das Marketing bedeutet das, dass die Social-Media-Marketing-Strategie von der grundsätzlichen strategischen Zielsetzung über die Mediaplanung bis zum Dialog- und Interaktionsmodell dem Bedürfnis der Nutzer nach wertvollen Inhalten Rechnung tragen muss. Denn dort, wo das eigentliche Wachstum in der Aufmerksamkeitsökonomie des Internet stattfindet, bei den Social Networks, ist Bannerwerbung beispielsweise längst sinnlos geworden. Niemand schaut sich in Communities Banner an oder klickt drauf.

derStandard.at: Reine Werbefinanzierung ist also nicht der Weisheit letzter Schluss. Wohin gehen die Trends bei diesen Unternehmen? Wie werden sie ihre Wertschöpfung in Zukunft erzielen?

Simonitsch: Wir haben hier ein massives Problem. Denn, was macht Communities und Co. so erfolgreich? Die weitestgehende Verschonung von Werbung und allumfassender Kommerzialisierung. Das passt natürlich mit einem wirtschaftlichen Geschäftsmodell nicht wirklich zusammen. Dies haben viele Investoren in der Zwischenzeit auch bitter erkennen müssen. StudiVZ und Kommerzialisierung - schwer bis kaum denkbar. Die eigentliche Wertschöpfung von Communities, Foren und Blogs ist, dass sie einen digitalen Aufenthaltsraum schaffen, den es vorher in der Form nicht gab. Kein Geschäftsmodell, aber eine wunderbare Gelegenheit, um Kontakte zu knüpfen, auch für Marken und Unternehmen. Lerne deine KundInnen kennen und versuche diesen Kontakt "woanders" zu monetarisieren, etwa durch Markenbindung oder spezifischere, individuellere Produkte. Und wer es schafft über seine Kunden ins Gespräch mit neuen Kunden zu kommen, für den kann das Web2.0 auch zum Geschäftsmodell werden. Eben über: Markenwert durch Loyalität und Aufmerksamkeit. Eine harte Währung, aber in der heutigen Zeit eine dringend notwendige.

derStandard.at: Welche Beispiele können Sie dafür anführen?

Simonitsch: Über die Werbung hinaus werden ja schon Versuche mit Item-Selling und Merchandising gemacht. Auch in intensiver Zusammenarbeit mit Marken. MySpace und Musik sowie Youtube und die Musik-Labels beispielsweise. Youtube lockte Warner mit Mehrwert - nach Reuters bzw. ftd.de wird Warner künftig mit mehr als 50 Prozent an den Werbeeinnahmen beteiligt; Musikvideos gehören zu den populärsten Kategorien auf Youtube. Wie wichtig und ernst Unternehmen die Präsenz von Sozialen Netzwerken nehmen, zeigt, dass selbst Vodafone seine Popularität in sozialen Online-Netzwerken stärken möchte und hofft davon zu profitieren. Für diesen Herbst wurde vor Kurzem ein neues Software Paket "Vodafone 360" angekündigt. Es integriert Kontaktdaten aus Facebook, Windows Live und Google Mail im Handy-Adressbuch und soll einen direkten Zugriff auf die Funktionen von Facebook oder StudiVZ ermöglichen.

derStandard.at: Aber gerade Vodafone hat sich vor einigen Monaten mit einer Werbelinie für die Community gerade in dieser gar nicht beliebt gemacht. Es hagelte Proteste. Versucht man es hier nun von der anderen Seite?

Simonitsch: Das ist das generelle Problem. Unternehmen sehen: Es gibt eine Mega-Community mit Riesen-Potenzial - da haben wir den Zug verpasst, jetzt springen wir einfach so drauf. Und genau das funktioniert nicht. Vodafone ist eher im höherpreisigen Segment zu Hause, das spiegelt sich auch in der Kundenstruktur wieder. Die jungen Kunden springen ab. Und dem wollte man Abhilfe leisten. Aber man kann nun mal nicht eine klassische Werbelinie fahren, mit den Aushängeschildern der Blogger-Szene, um sich die Communities zu erschließen. Das musste nach hinten losgehen. Nun werden andere Mittel und Wege gesucht. Zum Beispiel in Form von Kundengewinnungs- und bindungsaktionen wie der Kooperation mit werkenntwen.de und eben auch mit speziellen Applikationen für mobile Endgeräte.

derStandard.at: Hapert es nicht schon grundlegend daran, dass dieses Aufspringen auf den Zug von Leuten entschieden wird, die selber keine Ahnung davon haben, wie und warum Communitys überhaupt funktionieren?

Simonitsch: Ja, das Problem liegt bei den Entscheidern. Im Großteil der Fälle sitzt hier eine Generation an den Hebeln, die Social Networks nicht selber nutzt. Und weil sie es selber nicht tun, können sie es nicht verstehen. Da setzt man dann gerne auch den Praktikanten hin, damit er den Twitter-Account oder die Facebook-Community betreut. Über kurz oder lang wird es darauf hinaus laufen, dass Unternehmen Social Networks in ihre Vermarktungs- und Vertriebsstrategien fix einplanen werden müssen, wenn sie von ihnen profitieren wollen. Aber auch bei Investoren in Social Networks sieht man, dass man sich offensichtlich nicht viel dazu im Vorhinein überlegt hat. Mit dem Einstieg der Holtzbrinck-Gruppe bei StudiVZ war sicher auch die Hoffnung auf den großen Gewinn verbunden. Da musste man dann aber auch zur Kenntnis nehmen, dass kein großartiger Umsatz erzielt wird. Nun scheint man nach einem anderen Prinzip vorzugehen: Jetzt haben wir das Ding schon einmal, jetzt ergründen wir das Nutzerverhalten und schauen weiter. Eine Art Soft-Kommerzialisierung ist die Folge. Mit einem gewissen Verständnis für die Funktionsweise des Netzwerkes, ergründet StudiVZ seine Möglichkeiten. 

derStandard.at: Businessnetzwerke wie zum Beispiel Xing fahren einen Teil des Umsatzes auch mit Premiumdiensten ein, für die die User monatlich bezahlen. Könnte man es auch auf andere Netzwerke ummünzen - würden beispielsweise Facebook-User für ihren Account zahlen oder ist das undenkbar?

Simonitsch: Ich persönlich kann mir einen Premiumdienst à la Xing für Facebook nur sehr schwer vorstellen. Worin sollte der Nutzen liegen? Und ganz ehrlich, ein "Abschalten" bisheriger kostenloser Möglichkeiten und eine Umwandlung in kostenpflichtige ist nicht mehr möglich. Man denke an den Aufschrei der Facebook-Community bei geringfügigen Veränderungen am Layout und an der Bedienung bzw. am Versuch die AGBs zu ändern. Xing hat sich hier bereits relativ früh und sehr klar positioniert. Es gibt Premiumdienste und die haben einen entsprechenden Mehrwert und der Rest kann eben nur Basics nutzen. Dies ist in der Form also nicht wirklich vergleichbar. Für Xing ist dies sicherlich ein sehr erfolgreiches Modell, denn die Premiumnutzer finanzieren Xing durch die inzwischen sehr hohe Mitgliedszahl schon lukrativ.

derStandard.at: Werden sich die Sozialen Netzwerke - wie es von vielen prognostiziert wird - in Zukunft verstärkt auf das B2B-Segment verlagern? Wo liegen hier die Möglichkeiten der Social Networks? Gibt es dafür Beispiele?

Simonitsch: Der Charme besteht darin, dass sich bestehende enge Beziehungen zwischen Kunden und Produkt abbilden und sehr gut pflegen lassen. Personensuchmaschinen werden von Personalern genutzt. Xing ebenso. Facebook und Twitter zur Personalsuche - vor allem in kreativeren Branchen. Siemens und IBM sind ganz weit vorne bei der Nutzung von Web 2.0-Angeboten und -Möglichkeiten. Neben mehreren YouTube-Kanälen gibt es Podcasts, Blogs und Kommunikation via Twitter. Brand- und Produktmanager können so in eine bisher nicht mögliche intensive, sehr kundenbindende Interaktion mit ihren KonsumentInnen treten. Einem offenen Erfahrungs- und Wissensaustausch. Aber auch Händler wie die Otto-Gruppe gehen hier neue und innovative Wege wie dies beispielsweise Smatch.com zeigt.

derStandard.at: Wie viel Platz gibt es noch für Social Networks? Ist eine Konsolidierung am Markt zu erwarten? 

Simonitsch: Inwieweit regionale Netzwerke langfristig wirklich eine wirtschaftliche Überlebenschance haben, wird auch vom Durchhaltevermögen beziehungsweise der Strategie der Investoren abhängen. Generell sehe ich auf jeden Fall eine Konsolidierung und einen massiven Trend hin zu "internationalen" Netzwerken. Bereits jetzt ist es für viele Manager ein Problem, dass in jedem Land unterschiedliche Businessnetzwerke "in" sind. Kaum jemand ist aber bereit mehrere Netzwerke zu pflegen, zu aktualisieren und "am Laufen" zu halten. Dafür fehlt einfach die Zeit.

SchülerVZ-StudiVZ und MeinVZ sind ein Versuch "mitzuwachsen", denn es verändert sich das Nutzungsverhalten und die Nutzungsnotwendigkeit je nach Lebenslage. Eine durchaus andere "Baustelle" sind die großen lokalen Communities wie lokalisten.de und kwick.de, denn die organisieren nicht nur virtuelle Kontakte sondern auch Treffen und Veranstaltungen im "real life" - hier geht es auch um Vernetzung vor Ort. Dies ermöglicht eine wesentlich leichtere "Einbindung" in das Leben der Nutzer und ist damit eine eigene Kategorie bzw. ein eigenes Geschäftsmodell. Aber auch hier sind Konsolidierungen sicherlich zu erwarten und auch schon im Laufen. (Daniela Rom, derStandard.at, 11.10.2009)