Kommenden Mittwoch wird koalitionär wieder kräftig in den Wunden der angeschlagenen Sozialdemokraten gewühlt. Da tritt der Vizekanzler zu einer programmatischen Rede an, Inhaltsangabe: Wohin Österreich in den nächsten Jahren gehen soll. Nach allem, was die ÖVP bisher geboten hat, muss man sich davon keine umwerfenden Erkenntnisse versprechen. Der Zweck der Redeübung ist schon erfüllt, wenn damit dem Bundeskanzler die Rolle als Akzidenzfigur des Finanzministers zugewiesen wird, denn nicht das Bundeskanzleramt gibt den Ton an, sondern, wie Josef Pröll dank der Wurschtigkeit der SPÖ verkünden kann: "Das eigentliche Herz der Politikgestaltung" ist im Finanzministerium. Also er. Hirn - wo auch immer.

Das kommt gerade recht, um sich als ruhender Regierungspol von einer taumelnden SPÖ abzuheben und den letzten Wahlergebnissen noch eins draufzusetzen. Man kann das der ÖVP nicht verdenken, sie nutzt die Gunst der Stunde, ohne dass sie dabei mit nennenswertem Widerstand rechnen müsste. Man kann auch sagen, sie stößt in ein Vakuum. Denn bisher war die Art, wie man SPÖ-intern auf die Wahlergebnisse in Vorarlberg und Oberösterreich reagierte, fast noch bedenklicher als die Ergebnisse selbst: Allenfalls noch vorhandene Reste einstiger Parteidisziplin schlugen um in ein konfusionistisches Jeder-gegen-Jeden und in eine Panikstimmung, die das Lernen aus Katastrophen nicht eben fördert. Die einen wollten schon wieder einmal einen Parteiobmann ersetzen, und der markierte einen Kritiker seines Kurses als "Zerstörer", ohne den Eindruck zu bedenken, der entsteht, wenn der Zerstörer dann Landtagspräsident wird.

Das wird sich beruhigen. Aber ob dann wirkliches Nachdenken einsetzt, das über ein Räsonieren, wie retten wir unsere Funktionen, hinausgeht, muss zweifelhaft bleiben. Es müsste schon um einiges gründlicher ausfallen als die apodiktische Erklärung des Bundeskanzlers und Parteichefs, sein schon bisher kaum erkennbarer Kurs sei fortzusetzen, eventuell mit ein paar Ecken und Kanten, soweit die ÖVP es erlaubt - schließlich stehen die nicht im Regierungsprogramm. Denn die Krise der SPÖ gärt nicht erst seit dem Brief an Onkel Hans, auch nicht seit dem Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise vor einem Jahr, sie reicht viel weiter zurück.

Von den 51 Prozent der Wähler, die der SPÖ vor einem Vierteljahrhundert noch ihr Vertrauen aussprachen, hat sie demnächst die Hälfte verloren, und das fast kontinuierlich, ohne dass sie als Partei auf diese Entwicklung qualifizierter reagiert hätte als jeweils in Vorwahlpanik mit dem Austausch ihrer Vorsitzenden. Nur Franz Vranitzky bestimmte seinen Rückzug nach zehn Jahren selbst. Gesellschaftspolitische Veränderungen, die sich nicht zuletzt in einem drastischen Rückgang der Mitgliederzahlen zeigten, wurden eher achselzuckend erlebt denn als neue Herausforderung angenommen. Die theoretische Beschäftigung mit den Ursachen des Wandels wich dem Schielen auf Meinungsumfragen. Dazu kommt, dass sich die Sozialdemokratie europaweit in einer Krise befindet.

Sie hampelt der Internationale des Kapitals hinterher in einer Zeit, in der viele ihrer Anliegen auf nationaler Ebene gar nicht mehr zu lösen sind. Man schaut möglichst nicht über den nationalen Tellerrand, und hierzulande tut man ein Übriges: Man delegiert Europapolitik gleich an den Boulevard, und statt eigene junge Kräfte zu mobilisieren, was unbequem sein kann, kauft man sich in Medien ein, was erpressbar macht. Nun will Faymann mit der Parole "Kurs halten" Verlässlichkeit demonstrieren. Viele werden es ihm als Unfähigkeit auslegen, auf die Herausforderung einer höchst kritischen Situation zu reagieren. Und die ÖVP wird es ihm nicht danken. Warum sollte sie eine Erholung der SPÖ wünschen? (Günter Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 8.10.2009)