Drei Prozent der Promotionen in Deutschland sind gekauft oder gefälscht, schätzt Manuel Theisen. Für den falschen Titel zahlten Anwärter mehr als 20.000 Euro.

Foto: Ulrich Baatz

UniStandard: Über 100 deutsche Professoren stehen unter Verdacht, illegal Doktortitel verkauft zu haben. Wie viele Dissertanten könnte das betreffen?

Theisen: Das ist schwer zu schätzen, doch das Institut, das die Geschäfte im entschiedenen Fall vermittelt hat, war ein Riesenladen mit vielen Angestellten. Es gab irrsinnig aufwändige Anzeigenkampagnen - und das kostet. Aufgrund dessen schätze ich, dass von den jährlich 30.000 erfolgreichen Promotionen in Deutschland, etwa 1000 gefälscht oder gekauft sind - dabei war aber nicht nur dieses Institut, sondern mehrere im Spiel.

UniStandard: Wie viel haben die Anwärter für den Titel bezahlt?

Theisen: Der Vertrag hatte drei Ratenzahlungen: Die ersten 6000 Euro musste man zahlen, wenn die Verbindung hergestellt wird, die zweiten 6000 Euro, wenn die Arbeit eingereicht wird, und die dritten, wenn man den Titel bekommt. Doch viele sind ohne Titel nach Hause gekommen, aber sie haben ihr Geld nicht zurückbekommen.

UniStandard: Das jetzt verurteilte Institut besteht seit mehr als 25 Jahren. Sie haben schon öfter auf die Geschäfte hingewiesen - warum ist der Skandal erst jetzt aufgeflogen?

Theisen: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich habe schon vor zwanzig Jahren dieses Vorgehen in öffentlich zugänglichen Beiträgen beschrieben. Die Staatsanwaltschaften waren aber regelmäßig der Meinung, das sind nur Einzelfälle, Marginaldelikte, und man suchte weiter lieber nach Mördern, was sicher auch wichtiger ist.

UniStandard: Gibt es solche Geschäfte auch in Österreich?

Theisen: Solche Institute, die genau das Gleiche machen, gab und gibt es meines Wissens auch in Österreich. In den Anzeigen oder im Internet findet man eine Menge Adressen. Ich weiß nur nicht, wie sinnvoll es ist, in einer Beilage wie Ihrer die Studierenden darauf aufmerksam zu machen.

UniStandard: Meinen Sie, diese illegalen Geschäfte erhalten Zulauf, wenn man sie medial thematisiert?

Theisen: Genau das ist der Fall. Ich habe das vom Betreiber des (nun verurteilten, Anm.) Instituts selbst erfahren. Er hat mir mehrfach gesagt: "Toll, dass Sie wieder so eine riesige Sendung im ARD oder ZDF zum Titelhandel hatten, am nächsten Tag sind bei mir die Telefone nicht stillgestanden." Das ist leider der Effekt, es gibt eben viele, die sagen: "So einfach ist das, dann mach ich das auch."

UniStandard: Wie bekommt man diese Geschäfte dann in den Griff?

Theisen: Eine Berichterstattung macht trotzdem Sinn, wenn sie die Sache nicht so locker darstellt, nach dem Motto: "Wer das nicht kauft, ist blöd", sondern auch deutlich auf die Straffolgen und das unrechtmäßige Handeln hinweist. Außerdem gibt es in jedem Einzelfall ein soziales Umfeld. Die Medien können dabei helfen, dass nicht alle wegschauen. Man weiß doch, dass wenn jemand ordentlich promoviert, er jahrelang an seiner Arbeit sitzt. Und andere fahren übers Wochenende in die Schweiz, nach Österreich, oder Deutschland und kommen mit dem Doktortitel zurück?

UniStandard: Diese Geschäfte sind in den letzten zwanzig Jahren explodiert. Ist das auch ein Phänomen unserer Zeit? Stichworte: Schnelllebigkeit und Erfolgsdruck?

Theisen: Ein bisschen trifft das zu. Es wird oft vermutet, das sind alles nur eitle Leute, titelsüchtig, eben deutsch. Aber das ist sicherlich der kleinste Teil. Ein erheblicher Teil rechnet sich einfach Vorteile aus. Das ist ein knallhartes ökonomisches Kalkül. Die sagen, ich investiere, 20.000 oder 30.000 Euro und hoffe damit im Wettbewerb, als Arzt, als Rechtsanwalt, mehr Geld zu verdienen. Man weiß, dass bestimmte Fächer besonders stark betroffen sind, nämlich die, in denen sich der Doktortitel auszahlt: Medizin, Wirtschaft, Recht und Ingenieurwissenschaften.

UniStandard: Welchen Zusammenhang hat die Titelgier der Deutschen und Österreicher mit diesen Delikten?

Theisen: Ich merke immer an den Interviews, die ich mit Medien aus den USA, aber auch aus Finnland oder Dänemark führe, dass die erste Frage dann immer lautet: Warum gibt es das nur in Deutschland? Die Titelgier spielt sicher eine Rolle. Man sonnt sich darin, wenn die Bäckerin über den Tresen ruft "Herr Doktor". Diese Mentalität kommt vielleicht aus dem Kaiserreich.

UniStandard: War für manche der erschlichene Titel die Eintrittskarte in eine universitäre Karriere?

Theisen: Ich habe so einen Fall gehabt: Ein Vorsitzender Richter in München, der einen echten juristischen Doktortitel hatte, hat sich einen zweiten Doktortitel in der Schweiz gekauft und einen Professorentitel dazu. Er hat sich damit für einen Lehrstuhl beworben. Bei der Begutachtung ist alles aufgeflogen, und er ist bestraft worden.

UniStandard: Mit welchen Strafen haben die Käufer zu rechnen?

Theisen: Die Studenten kommen in der Regel relativ gut weg: Der Titel wird aberkannt, und Geldbußen werden eventuell wegen Betrugs verhängt. Dramatischer wird es, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Student gewusst hat, dass sein Professor bestochen worden ist. Dann ist er wegen Beihilfe zur Beamtenbestechung dabei - und das ist kein Kavaliersdelikt. Es liegt auf der Hand, dass jeder, der nicht völlig blöd ist, wissen muss, dass man akademische Titel nicht kaufen kann und nicht kaufen darf. (Tanja Traxler/DER STANDARD, 08.10.2009)