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Die Ehrung in Oslo trägt weiter zur Barack-Obama- Ikonografie bei: Der Präsident habe den Preis nur gewonnen, weil er nicht George W. Bush ist, ätzen seine Kritiker.

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Der Erwartungsdruck auf den Präsidenten steigt ins Unermessliche.

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"Oh", sagt Sharlene als sie an diesem frühen Freitagmorgen den Kaffee fertig macht. Die Nachricht hatte sich noch nicht bis aufs flache Land, bis ins feuchtheiße Mississippi durchgesprochen. Im Burger King von Clarksdale, einem heruntergekommenen Nest im Mississippi-Delta, läuft ein Sportsender. Eishockey. Und Josh, der einzige Kunde, raunzt ohne seinen Blick vom Fernseher zu nehmen: "Was kommt als Nächstes, spricht ihn der Papst jetzt heilig?"

Die Entscheidung des Osloer Komitees, Präsident Barack Obama mit dem Friedensnobelpreis zu ehren, hat alle in den Vereinigten Staaten auf dem falschen Fuß erwischt. Noch anderthalb Stunden nach der ersten Meldung beschäftigen sich die US-Nachrichtenkanäle mehr mit einer Nasa-Rakete, die auf dem Mond eingeschlagen ist, als mit den Breaking News, die in Norwegen abgefeuert wurden.

Selbst das Weiße Haus, das unter dem ausgesprochenen Kontrollfreak Obama üblicherweise nichts dem Zufall überlässt, war überrascht. Der Preisträger wurde kurz vor sechs Uhr früh Washingtoner Zeit von der Entscheidung unterrichtet. Wenig später e-mailte sein Sprecher Robert Gibbs eine erste, einigermaßen einsilbige Reaktion an die Redaktionen: "Wow!"

Der Präsident selbst reagierte später auf einer Pressekonferenz demonstrativ bescheiden. "Um ehrlich zu sein, ich empfinde es nicht so, dass ich es verdiene, in einer Reihe mit so vielen gestalterischen Persönlichkeiten zu stehen, die mit diesem Preis ausgezeichnet wurden", sagte Obama. "Lassen Sie es mich deutlich sagen, ich empfinde den Preis nicht als Anerkennung meiner eigenen Leistungen." Er verstehe die Auszeichnung vielmehr als Aufruf zum Handeln.

Mit Obamas "außergewöhnlichen Anstrengungen für die Diplomatie", hatte Thorbjörn Jagland, der Präsident des Friedensnobelpreis-Komitees, die Vergabe begründet. Nur selten habe eine Person im selben Ausmaß die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen und ihren Völkern die Hoffnung auf eine bessere Welt gegeben. Seine Diplomatie beruhe auf der Grundlage von Werten, die eine Mehrheit der Weltbevölkerung teile.

Die Auguren in den USA rätselten sofort nach der Bekanntgabe, ob der Preis dem Präsidenten nun eher nütze oder schade. Von der konservativen Seite hieß es, Obama habe ihn vor allem deswegen gewonnen, weil er nicht George W. Bush sei. In der Debatte um die US-Gesundheitsreform und die miserable Wirtschaftslage werde ihm das aber wenig helfen.

Demokratische Analysten verstanden die Entscheidung, die ironischerweise an dem Tag bekannt wurde, als Obama in Washington Kriegsrat über Afghanistan hielt, als eine "Investition des Nobelpreiskomitees in die Zukunft" . Der Erwartungsdruck auf den Popstar unter den Präsidenten steigt dadurch beinahe ins Unermessliche.

In der Tat betrifft das nicht nur Afghanistan (siehe Seite 3), sondern auch die Anstrengungen und Positionen der USA im Nahen Osten, im Atomstreit mit dem Iran oder in der Klimaschutzdebatte. Den großen Reden des Präsidenten zur Abrüstung in Prag oder zur Aussöhnung mit der muslimischen Welt in Kairo müssten Resultate folgen, hieß es einhellig.

Begeistert zeigten sich dagegen einige, die den Preis vor Obama bekommen hatten. Mohamed ElBaradei, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde und Preisträger von 2005, erklärte: "Ich kann mir heute niemanden vorstellen, der diese Ehre mehr verdient hätte." Obama habe in weniger als einem Jahr im Amt "eine neue Vision von einer Welt eingebracht, die auf menschlichen Anstand, Fairness und Freiheit beruht - was eine Inspiration für uns alle ist."

Südafrikas Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela sprach von einem "Hoffnungszeichen" . Der Preis solle Obamas Engagement stärken, "als Staatschef der mächtigsten Nation der Erde weiter den Frieden und die Ausmerzung der Armut zu propagieren" . Michail Gorbatschow, ehemaliger sowjetischer Staatschef und Preisträger, sagte: "In diesen harten Zeiten sollten Menschen unterstützt werden, die fähig sind, Verantwortung zu übernehmen, die eine Vision haben, Engagement, politischen Willen."

Norwegens Premier Jens Stoltenberg verteidigte den Zeitpunkt: "Der Preis kommt nicht zu früh. Es ist spannend, wenn er an jemanden geht, der mitten in der Verantwortung steht und etwas durchzusetzen hat." EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte, die Entscheidung reflektiere die von Obama geweckte "Hoffnung auf eine atomwaffenfreie Welt".

Auch aus Nahost kam Lob: Israels Verteidigungsminister Ehud Barak sagte, der Preis werde Obamas Fähigkeit stärken, "zur Schaffung eines regionalen Friedens im Nahen Osten beizutragen." Auch der palästinensische Chefverhandler Saeb Erekat begrüßte die Entscheidung des Nobelkomitees. Die Palästinenserorganisation Hamas sagte dagegen, die Auszeichnung komme bestenfalls zu früh.

Besonders ungeschminkt verlieh der Pole Lech Walesa, Träger des Friedensnobelpreises 1983, der Verblüffung Ausdruck. "Wer, Obama, so schnell?", fragte Walesa verdutzt, als Reporter in Warschau ihm die Nachricht überbrachten. "Das geht zu schnell", befand Walesa. "Er hatte bisher doch gar nicht die Zeit, irgendwas zu tun." (Christoph Prantner aus Clarksdale/DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2009)