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Erleichterter Applaus nach der Unterzeichnung in Zürich (v. li.): die Außenminister Bernard Kouchner (Frankreich), Micheline Calmy-Rey (Schweiz), Eduard Nalbandian (Armenien), Ahmet Davutoglu (Türkei), Hillary Clinton (USA), Sergej Lawrow (Russland).

Foto: AP/Kraemer

Das verdeutlicht die Widerstände, die es in beiden Ländern gegen seine Umsetzung gibt

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Zürich/Eriwan/Istanbul - "Friedensprozess gerettet" titelte am Sonntag das türkische Massenblatt Sabah und feierte damit die historische Vereinbarung, die die Türkei und Armenien am Vorabend unterzeichnet hatten. Tatsächlich geriet die feierliche Unterzeichnung des Abkommens zwischen den seit Jahrzehnten verfeindeten Nachbarn in der Universität Zürich zu einem veritablen Krimi.

Um 17 Uhr sollten die beiden Außenminister Eduard Nalbandian und Ahmet Davutoglu ihre Namen unter die Dokumente setzen. Die Kulisse war bereit, neben der Schweizer Außenministerin Michelin Calmy-Rey hatten sich EU-Chefdiplomat Javier Solana und die Außenminister Bernard Kouchner (Frankreich), Sergej Lawrow (Russland) und Hillary Clinton (USA) eingefunden.

Doch wer nicht kam, war Nalbandian. Geschlagene drei Stunden musste er von der geballten internationalen Diplomatenfront bearbeitet werden, bis er schließlich doch noch erschien. Der Grund waren angeblich "nicht akzeptable Formulierungen" in der von Davutoglu vorbereiteten Rede, die nach der Unterzeichnung gehalten werden sollte. Die Krise wurde schließlich gelöst, indem man auf die Ansprachen völlig verzichtete.

Eigentlicher Grund für das armenische Zögern dürften massive Proteste der Opposition in Eriwan und innerhalb der weltweiten armenischen Diaspora gewesen sein. Am Freitag hatten in Eriwan mehr als 10.000 Menschen gegen die bevorstehende Vertragsunterzeichnung demonstriert. Zuvor war der armenische Präsident Serge Sarkisian bei einem Besuch in den USA von Vertretern der Diaspora massiv angegriffen worden. "Kein Handel mit dem Genozid" fordert die Opposition. Sie wirft Sarkisian insbesondere vor, er habe in dem jetzt unterzeichneten Protokoll zugestimmt, dass eine gemischte Historikerkommission über Art und Ausmaß der Massaker an den Armeniern im ausgehenden Osmanischen Reich diskutieren wird, anstatt weiterhin darauf zu bestehen, dass die Türkei einen Völkermord an den Armeniern anerkennt.

Doch auch die türkischen Nationalisten sind gegen den Vertrag. Mehmet Sandir, Sprecher der rechtsradikalen MHP, nannte es einen "schwarzen Tag" für die Türkei, weil die Regierung die Freunde in Aserbaidschan verraten habe. Die Türkei hatte die Grenze zu Armenien vor 16 Jahren geschlossen, als armenische Truppen die in Aserbaidschan liegende Enklave Berg-Karabach und weitere Gebiete in Aserbaidschan besetzten. Auch der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew verurteilte das Abkommen, weil die Türkei die Öffnung der Grenze nicht an einen armenischen Abzug aus Karabach gekoppelt habe.

Es ist deshalb noch nicht völlig sicher, dass der Vertrag nun auch wie vorgesehen von den Parlamenten beider Länder ratifiziert wird. Erst danach sollen diplomatische Beziehungen aufgenommen und die Grenze geöffnet werden.

Allerdings ist der internationale Druck insbesondere der USA auf Armenien enorm, jetzt keinen Rückzieher mehr zu machen. Die USA sind aus geopolitischen Gründen sehr an einem Friedensschluss im südlichen Kaukasus interessiert, weil nur dann die Öl- und Gasreserven des kaukasischen Beckens ohne all zu große Risiken gen Westen transportiert werden können. (Jürgen Gottschlich/DER STANDARD, Printausgabe, 12.10.2009)