Die ÖBB könnte wunderbar funktionieren, wenn nicht ständig die Fahrgäste stören würden." Dieses schon in die Jahre gekommene Bonmot eines leidenschaftlichen, aber leidgeprüften Bahnfahrers wird einem seit Wochen tagtäglich schmerzhaft in Erinnerung gerufen. Chaos in der gesamten Ostregion, verwirrte und heillos verspätete Fahrgäste, dann endlich Gegenmaßnahmen - und flugs neues Baustellenchaos.
"Die ÖBB befördern täglich rund 1,2 Millionen Menschen, da muss die Kundenorientierung klar im Mittelpunkt stehen. Hier ist noch einiges zu tun", verkündete am Montag Infrastrukturministerin Doris Bures. Kann man unterschreiben. Aber wer muss da tätig werden? Das Bahnmanagement, sagt Bures. Aber die Ursachen sind vielschichtiger.
Vor dem großen Kunden-Bekenntnis pries die Ministerin die derzeitige Bauoffensive als wichtigen Konjunkturmotor. Stimmt schon. Aber wenn man, wie derzeit in Wien, alle wichtigen Bahnhöfe gleichzeitig in eine Baustelle verwandelt, braucht man sich wirklich nicht zu wundern, dass der Betrieb zusammenbricht. Und wenn, muss man sich schon Maßnahmen überlegen - und nicht erst reagieren, wenn schon wochenlang fast gar nichts mehr geht.
Eine andere Baustelle: Zu den jüngsten Meldungen, dass die ÖBB plant, Güterverkehr von Lastzügen auf Lkws umzuladen, ruft Bures aus: "Wir wollen von der Straße auf die Schiene verlagern und nicht umgekehrt." Klingt auch gut. Schließlich muss es vor allem aus ökologischer Sicht das oberste Ziel sein, Straßenverkehr möglichst einzudämmen und den umweltverträglichen Bahnverkehr so attraktiv wie möglich zu gestalten. Werden sich hier die nüchternen wirtschaftlichen Überlegungen durchsetzen oder die politischen Zielsetzungen? Man wird sehen, wer in dieser Frage am Ende des Tages wedelt: der Hund mit dem Schwanz oder vielleicht gar der Hund mit dem Frauerl?
Aber gilt das Credo "Schiene statt Straße" auch für die Nebenbahnen, die wieder einmal eingestellt und durch Busse ersetzt werden sollen? Und was ist mit der Verbindung Wien-Venedig, die künftig auch kein Zug, sondern ein Bus bedienen soll? Dazu heißt es zunächst einmal scheinheilig, dass sich die Italiener aus dem Fernverkehr zurückziehen und dass deshalb die Schiene leider das Nachsehen habe.
Tatsächlich hört man aber hinter gar nicht so vorgehaltener Hand: Der wirkliche Grund, warum die ÖBB nicht mehr mit dem Zug nach Venedig fahren will, sei die hohe "Schienenmaut", die Trenitalia verlangt. Die will man sich sparen, weil die Straßenmaut niedriger ist. Man muss ja sparen.
Ist das die großartige Förderung der Kundenzufriedenheit? Geht da "Schiene statt Straße" über alles? Es geht aber noch besser: Seitens des ÖBB-Personenverkehrs heißt es, dass man mittelfristig - also ab 2014 - daran denke, die Pontebbana-Achse wieder zu attraktivieren. Der Treppenwitz: Die Pontebbana ist genau die zur Hochleistungsstrecke ausgebaute Bahnstrecke durchs Kanaltal bis Venedig, die die ÖBB ab Dezember mit dem Bus bedienen will. Das ist entweder die blanke Verhöhnung der Bahnkunden oder schlicht Management per Chaos.
Zurück zu den kundenminimierenden Zuständen in Wien - wie reagiert die ÖBB? Am Montag mit einer Aussendung: "Die ÖBB starteten 2009 eine Informationsoffensive, um die Kunden auf das Baustellenjahr vorzubereiten. Gleichzeitig wurden interne Prozesse gestartet, um alle Informationskanäle zu verbessern." Da weiß der gelernte Bahnfahrer: Jetzt kann's ja nur besser werden, wenn sich die ÖBB auf die "internen Prozesse" konzentriert. Ab jetzt werden die Fahrgäste ganz sicher mit "verbesserten Kanälen" beglückt. Und sei es im Bus durch das Kanaltal. (Roman David-Freihsl/DER STANDARD-Printausgabe, 13.10.2009)