Die Liste der Merkwürdigkeiten wird immer länger. Ein Staatsanwalt lässt den Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler ungeschoren, weil der beim Verrücken von Ortstafeln sinngemäß nicht gewusst haben soll, dass seine Show unrechtmäßig war; ein anderer Ankläger übersieht eine Anzeige gegen Ex-Innenminister Ernst Strasser; ein weiterer vergisst, dem Abgeordneten Peter Westenthaler eine vorgeschriebene Mitteilung über dessen Handyüberwachung zukommen zu lassen, um nur drei aktuelle Beispiele zu nennen.

Nicht nur im parlamentarischen U-Ausschuss (siehe Artikel unten) steht die Anklagebehörde im Kreuzfeuer der Kritik. Auch Medienberichte legen nahe, dass Entscheidungen über Verfahrenseinstellung oder Anklage politisch motiviert seien - sei es durch direkte Intervention, sei es aus vorauseilendem Gehorsam.

Werner Pleischl, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, weist derartige Pauschalvorwürfe zurück. Was er aber beim jüngsten Standard-Montagsgespräch im Wiener Haus der Musik einräumte: "Die Justiz wurde auf dem falschen Fuß erwischt." Fehler seien nach der großen Strafprozessreform Anfang 2008 unvermeidlich gewesen, vor allem weil es zu wenig Personal gegeben habe.

Pleischl ist dafür, dass Fehler auf Herz und Nieren untersucht werden, aber nicht im Rahmen eines U-Ausschusses, wo Politiker eben parteipolitisch agierten. "Wir sind den falschen Leuten in die Quere gekommen, das verstehe ich nicht unter Evaluierung" , so der Chef der Wiener Oberstaatsanwaltschaft.

Zur Erinnerung: Der Staatsanwaltschaft wurde im Rahmen der Reform das gesamte Ermittlungsverfahren übertragen, es gibt keine gerichtlichen Voruntersuchungen mehr. Der Arbeitsaufwand bei der Anklagebehörde ist enorm gestiegen, Staatsanwälte sollen von Anfang an aktiv ermitteln, können aber auch weiterhin die Polizei damit beauftragen. Vor 2008 gab es in Wien 55 Staatsanwälte, jetzt 90. Mehr als zwei Drittel davon sind unter 35 und haben erst vor kurzem vom Richter- zum Anklägeramt gewechselt. Allein bei der Wiener Staatsanwaltschaft gehen jeden Tag durchschnittlich 1000 Anzeigen ein.

Jährlich 817 Akte pro Person

War die StPO-Reform, an der jahrzehntelang gebastelt worden war, also personell schlecht vorbereitet? Auf die Frage von Standard-Diskussionsleiter Gerfried Sperl hat Christian Pilnacek, als Leitender Staatsanwalt im Justizministerium für die Reform verantwortlich, ein Nein. Der zusätzliche Personalbedarf durch die Reform sei sogar durch eine externe Beraterfirma errechnet worden. Im Schnitt bearbeite ein heimischer Staatsanwalt nun 817 Akte pro Jahr, in Deutschland betrage das Verhältnis 1:961.

Doch auch aus der quasi externen Sicht des Verfassungsrechtlers Heinz Mayer und des Wiener Rechtsanwaltes Richard Soyer hat die Staatsanwaltschaft ein großes Personalproblem. Was die teilweise unerfahrenen und gestressten Ankläger auch wiederum anfällig für Interventionen machen könne. Und die endet bekanntlich beim Weisungsrecht des Justizministeriums, das - auch wenn die derzeitige Justizministerin Claudia Bandion-Ortner parteifrei ist - politisch besetzt wird.

Am Weisungsrecht der Ressortspitze festhalten will außer dem Justizministerium niemand. "So lange es eine politische Abhängigkeit gibt, werden wir nicht gut dastehen", so Pleischl. Noch deutlicher: "An der Spitze der Weisungskette darf keine politische Instanz stehen." Rechtsanwalt Soyer und Verfassungsexperte Mayer können dem derzeitigen Weisungsrecht "nichts abgewinnen" . Mayer: "Politiker sind Politiker und haben immer politische Interessen."

Ministeriumsvertreter Pilnacek glaubt hingegen, dass die bestehenden Kontrollmechanismen einen politischen Missbrauch des Weisungsrechtes ausschließen. "Einem gut argumentierten Vorhabensbericht der Oberstaatsanwaltschaft kann das Ministerium gar nicht widersprechen. Wie sollte denn das vor dem Parlament gerechtfertig werden?", so Pilnacek.

Außerhalb des Ministeriums gibt es folgende Vorschläge zur Änderung der Weisungshierarchie:

  • Vorbild Rechnungshof: Mayer plädiert für eine neue oberste Dienstbehörde nach dem Vorbild des Rechnungshofes.
  • Vierersenat:Pleischl kann sich vorstellen, die Weisungsspitze dem Vierer-Senat in der Oberstaatsanwaltschaft zu übertragen.
  • Generalsbundesanwalt: Soyer will die Weisungsbefugnis beim Leitenden Staatsanwalt im Ministerium enden lassen. Vorausgesetzt dieser würde vom Parlament gewählt. Das wäre also eine Art Generalsbundesanwalt.

Staatsanwälte unter parlamentarische Kontrolle zu stellen ist für alle eine "Horrorversion". (Michael Simoner, DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2009)