Wegen eines Fleischlaberls sollte eine deutsche Sekretärin von ihrem langjährigen Arbeitgeber fristlos entlassen werden - der Fall wurde vor wenigen Tagen an die Öffentlichkeit getragen. Der Arbeitgeber berief sich auf Vertrauensbruch. Nun hat er zwar eingelenkt und ist bereit zu einer gütlichen Einigung, trennen will er sich aber trotzdem.
Bäckereiangestellte, die sich am Brotaufstrich bedienen, Supermarktkassiererinnen, die angeblich Flaschenbons mehrmals verwenden - sind das Bagatelldelikte, die besonders unmenschlich vom Arbeitgeber mit Entlassung abgestraft werden? Oder hat alles seine gesetzliche Berechtigung? Und warum hört man wenig von österreichischen Fällen? Marietta Türk fragte bei Martin Risak vom Institut für Arbeitsrecht an der Uni Wien nach.
derStandard.at: In Deutschland sollte laut Medienberichten eine Frau wegen eines vom Buffet entwendeten Fleischlaberls entlassen werden. Warum hört man in Österreich so wenig über solche Fälle?
Risak: Üblicherweise werden solche Fälle nicht ganz nach oben getrieben bis zum Obersten Gerichtshof, weil es da ziemlich gefestigte Rechtssprechungen zu Delikten wie Entwendungen oder Diebstählen gibt. Fälle wie diese wirken zwar auf den ersten Blick spektakulär, sind aber rechtlich ziemlich gut geklärt.
Ein anderer Grund: Welcher Arbeitnehmer geht schon gern mit so einer Causa hausieren? In der Regel steigert das seine Chancen auf einen neuen Job nicht unbedingt, denn irgendetwas bleibt immer hängen. Und Arbeitgeber hängen das auch nicht gerne an die große Glocke.
Bei einem Gerichtverfahren gibt es außerdem im wesentlichen Öffentlichkeit, aber die ist nicht dazu da, die Fälle nach außen zu tragen. Bei uns ist der Persönlichkeitsschutz vor Gericht auch ein großes Element. Das heißt, wenn die Parteien das nicht selbst nach außen tragen oder ein Prozessvertreter für die Gewerkschaft oder die Arbeiterkammer, dann wird daraus in der Regel keine große Geschichte gemacht. Bei den Fällen in Deutschland, über die zuletzt berichtet wurde, haben sich die Betroffenen sich unter Umständen etwas davon versprochen, wenn sie die Geschichte in die Öffentlichkeit tragen: Um den Vergleichsdruck auf den Arbeitgeber zu erhöhen oder zu zeigen wie absurd die Rechtssprechung nicht sei.
derStandard.at: Wie sieht die rechtliche Situation im Fleischlaberl-Fall aus?
Risak: Es geht immer um die Frage der Entlassung - der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund. Ein wichtiger Grund ist einer, der es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, am Arbeitsvertrag nicht einmal für die Dauer der Kündigungsfrist noch festzuhalten. Üblicherweise stützt man das bei den Diebstählen auf den Tatbestand der so genannten Vertrauensunwürdigkeit. Das heißt der Arbeitgeber ist im Vertrauen auf die dienstliche Korrektheit des Arbeitnehmers so erschüttert, dass er keinen Tag länger mit ihm zusammen arbeiten kann.
derStandard.at: Aber besteht nicht ein großer Unterschied, ob eine Sekretärin ein Fleischlaberl vom Buffet nimmt oder eine Verkäuferin gezielt Waren stiehlt?
Risak: Auch bei einem solchen Bagatelldiebstahl ist es so: Rein rechtlich ist es gerechtfertig, dass auch Dinge geringen Werts eine Rolle spielen. Es gibt sehr wohl auch solche Fälle in Österreich. Ich selber habe den Fall einer Supermarktkassiererin bearbeitet, die Leerflaschenbons aufgehoben hat und bei sich selbst noch einmal drüber gezogen hat. Die Frage ist, ob der Arbeitgeber, einer Supermarktkassiererin, die so etwas macht - und wenn es nur um fünf Euro geht - den ganzen Kassabestand anvertrauen möchte? Da spricht vieles dafür, dass da bei Gericht das Interesse des Arbeitgebers höher bewertet wird. Wenn es ums Eigentum geht, gibt es wenig wo die Rechtssprechung arbeitnehmerfreundlich ist. Es gibt da auch wenig Gründe, die es nachvollziehbar machen, warum ein Arbeitnehmer das überhaupt tut.
Bei dem Fall in Deutschland ging es im Wesentlichen darum, dass die Chefsekretärin sich vom Buffet bedient hat und man dann gesagt hat, das ist ein Fall der Vertrauensunwürdigkeit. Das ist so ein "Wehret-den-Anfängen-Fall".
derStandard.at: Das Bedienen am Buffet war aber laut Angaben der Betroffenen durchaus Usus im Unternehmen und wurde scheinbar bis dato noch nie geahndet. Macht das nicht einen Unterschied?
Risak: Ich konstruiere jetzt: Wenn der Arbeitgeber im Fleischlaberlfall davon gewusst hat und nie Sanktionen ergriffen hat, dann hätte er die Frau höchstwahrscheinlich nicht sofort entlassen dürfen, sondern sagen müssen, ab heute ist Aktion scharf.
Eine solche Abmachung ist schon ein Thema. Üblicherweise dort, wo es nicht um eine Vertrauensfrage wie Zuspätkommen, nicht ordentlich arbeiten, unfreundlich zu Kunden sein, geht, da gibt es dieses gelindere Mittel, weil die Entlassung soll ja das allerletzte Mittel sein. Aber das ganze muss vorher dementsprechend kommuniziert werden.
Der Unterschied zum Diebstahl: Dem Arbeitnehmer ist bewusst, dass er das nicht tun soll. Das ist von Anfang an klar und Verwarnen ist sinnlos, weil Stehlen verboten ist, Punkt. Erst wenn sich das dann so verdichtet: alle machen es und der Arbeitgeber hat das nie sanktioniert, dann schaut es wieder anders aus.
derStandard.at: Der deutsche Arbeitgeber hat sich mittlerweile entschuldig und ist bereit zu einer gütlichen Einigung. Was könnte ihn dazu bewogen haben?
Risak: Ich gehe davon aus, dass die recht breite mediale Berichterstattung, die die Sanktion des Arbeitgebers nicht unbedingt positiv gesehen hat, diesen dazu bewogen hat das Ganze im Vergleichswege zu lösen - wer ist schon gerne in der Öffentlichkeit als der da, der wegen eines Fleischlaberls vom Buffet entlassen hat? (derStandard.at, 15.10.2009)