Christian Engelbrechtsmüller: "Auch eine fehlende Liquiditätsplanung oder mangelhaftes Working Capital Management können dazu führen, dass Unternehmen bei vollen Auftragsbüchern verhungern."

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Mitte Jänner dieses Jahres beeindruckte ein Pilot die Welt: Chesley Sullenberger. Nach einem Triebwerksausfall gelang ihm in einer fliegerischen Meisterleistung die Notwasserung auf dem Hudson River. Einerseits hatte der Mann reichlich Erfahrung, zum anderen lagen im Cockpit die wichtigsten Informationen vor, nach denen er handeln konnte.

Die Notlandung bei New York lässt sich durchaus mit Krisensituationen im Treasury vergleichen. Eine ausreichend transparente aktuelle Datengrundlage sowie die Möglichkeit, das bestehende Risiko- und Chancenpotenzial auszuloten und zu bewerten, sind die Voraussetzungen dafür, dass die Unternehmensliquidität unter Wirtschaftlichkeitsaspekten effektiv gesteuert werden. Worauf man dabei achten muss, erklärt Christian Engelbrechtsmüller, Partner der KPMG Linz im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Welches sind die Haupt-Aufgaben des Corporate Treasurers?

Christian Engelbrechtsmüller: Die Aufgaben des Corporate Treasurer sind unternehmensspezifisch und umfassen beispielsweise das Cash- und Liquiditätsmanagement, das Finanzrisikomanagement, die Finanzierung und Bankenkommunikation. Die Berufsbezeichnung oder die Funktion „Corporate Treasury" ist nicht in jedem Unternehmen als eigenständige Fachabteilung etabliert. Unter Wahrung der Funktionstrennung übernehmen fallweise das Rechnungswesen oder das Controlling die Aufgaben.

derStandard.at: Inwiefern ändert sich die Bedeutung des Treasurys in Unternehmen mit der Globalisierung?

Engelbrechtsmüller: Mit der Globalisierung ist eine Globalisierung der Finanzrisiken und der Treasury-Aktivitäten verbunden. Trends wie Shared Services, Standardisierung von Bankdienstleistungen und integrierte IT-Systeme führen zunehmend zur Bündelung der Aufgaben und des Know-hows in einer zentralen Organisationseinheit. Das Treasury schafft dabei die konzernweite Transparenz zur Steuerung der finanziellen Risiken. Im Extremfall fungiert das Treasury wie eine In-House Bank, über die alle Finanzgeschäfte einer Unternehmensgruppe laufen.

derStandard.at: Wie können sich Unternehmen gegen auftretende Währungs- und Kreditrisiken absichern?

Engelbrechtsmüller: Im Risikomanagement geht es nicht darum, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf sie vorbereitet zu sein. Der Finanzrisikomanager benötigt grundsätzlich keine Prognosen, vielmehr muss er sich mit der Schwankungsbreite der Risiken und Szenarien beschäftigen. Die „Geben Sie mir eine Zahl-Mentalität" ist hier wenig hilfreich. In Abhängigkeit von der Schwankungsbreite der Risiken und der Risikotragfähigkeit des Unternehmens wird die Absicherungspolitik festgelegt. Die Umsetzung der Absicherung erfolgt durch natürlichen Risikoausgleich im Unternehmen, Limite oder mit Finanz- und Versicherungsgeschäften.

derStandard.at: Auch für Banken werden wirtschaftlich schwache Unternehmen immer teurer. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Bankenzusammenbrüche ist es Ziel von Basel II, das Finanzsystem international stabiler zu gestalten. Was bedeutet das für die Treasury-Abteilung eines Unternehmens?

Engelbrechtsmüller: Unter Basel II bekommen finanziell gut ausgestattete Unternehmen, die kein Geld benötigen, leicht günstige Kredite. Unternehmen, die einen hohen Finanzierungsbedarf aufweisen, erhalten Kredite gar nicht oder nur gegen sehr hohe Zinsen. In anderen Worten: Je höher das Ausfallsrisiko, desto höher der Zinssatz und desto schwerer der Zugang zu Krediten. Dieser Mechanismus führt bei den Banken gleichzeitig zu höheren Eigenkapitalanforderungen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Solange diese prozyklische Wirkung im Kreditsystem verankert bleibt, werden sich Unternehmen verstärkt nach Innenfinanzierungsmöglichkeiten und alternativen Finanzierungsformen umschauen.

derStandard.at: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Inwieweit könnte dabei – neben der aktuellen Wirtschaftskrise – auch ein mangelhaftes Treasury verantwortlich sein?

Engelbrechtsmüller: Geringe Liquiditätsreserven und die Verletzung der fristenkongruenten Finanzierung, d.h. dass langfristige Investitionen nicht primär durch Eigenkapital und gegebenenfalls langfristige Schulden finanziert werden, erhöhen das Insolvenzrisiko in Krisenzeiten. Auch eine fehlende Liquiditätsplanung oder mangelhaftes Working Capital Management können dazu führen, dass Unternehmen bei vollen Auftragsbüchern verhungern.

derStandard.at: Welches sind in punkto Liquiditätsabsicherung die größten Risikofaktoren für ein Unternehmen?

Engelbrechtsmüller: Das mit Abstand größte Risiko ist ein unzureichender Cash Flow, wenn die Produkte und Dienstleistungen des Unternehmens keine Käufer mehr finden. Beispiele für Risikofaktoren im Finanzbereich sind ungenügende Kreditlinien oder ein zu kurzer Vorlauf für die Vorbereitung der Refinanzierung. Auch Absicherungsstrategien mit derivativen Geschäften können Kreditrahmen und Liquidität übergebührlich belasten.

derStandard.at: Wie sieht die optimale Liquiditätsplanung für ein Unternehmen aus?

Engelbrechtsmüller: Die Liquiditätsplanung umfasst die kurzfristige – bis zu 12 Monaten gehende – direkte rollierende Planung der Ein-und Auszahlungen. Für den mittelfristigen Zeithorizont von 1 bis 5 Jahren bietet sich eine integrierte Finanzplanung, bestehend aus Plan-Bilanz, Plan-Cash-Flow-Rechnung und Plan-Gewinn- und Verlustrechnung an. Mit der Liquiditätsplanung sind regelmäßige Plan/Ist-Vergleiche verbunden. Wichtig ist, dass die Liquiditätsplanung auf konsolidierter Basis für alle Unternehmen einer Unternehmensgruppe vorgenommen wird.

derStandard.at: Welche sind die Vor- bzw. Nachteile der Inhouse-Abwicklung oder des Outsourcings von Treasury-Aufgaben?

Engelbrechtsmüller: Das Finanzmanagement wird von den meisten Unternehmen als Kernbereich betrachtet. Das Outsourcing von Treasury-Aufgaben ist mit Ausnahme von Cash Pooling und bestimmten Migrationsszenarien selten. Im Bereich des Cash Pooling oder ähnlicher technischer Plattformen greifen Unternehmen auf die Dienstleistungen der Banken zurück. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 19.10.2009)