Günter Stix (48) ist Kardiologe an der Universitätsklinik für Innere Medizin II am AKH in Wien. Seine Spezialgebiete: neben Herzrhythmusstörungen vor allem die interventionelle Kardiologie.

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Die meisten Herzprobleme kündigen sich an: Junge Menschen nehmen die Alarmsignale allerdings selten ernst, weiß Kardiologe Günter Stix vom Wiener AKH aus Erfahrung.

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Standard: Wie häufig ist eigentlich ein plötzlicher Herztod bei jungen Menschen?

Stix: Der plötzliche Herztod ist die häufigste Todesursache in den westlichen Industrienationen. Das ist ein Faktum. Allein in Österreich sterben rund 40.000 bis 45.000 Menschen jährlich daran, allein bei den 25- bis 44-Jährigen sind etwa acht Prozent der Männer und 16 Prozent der Frauen betroffen. Das sind also gar nicht so wenige.

Standard: Was passiert genau?

Stix: Damit das Herz schlägt, muss der Muskel durch regelmäßige kleine Stromstöße angeregt werden, normalerweise 50- bis 90-mal in der Minute. Kommt es dabei zu Störungen, also beispielsweise zu einem elektrischen Chaos in den Herzkammern, das Kammerflimmern, pumpt das Herz nicht mehr. Das Gehirn bekommt keinen Sauerstoff mehr, der Mensch wird bewusstlos. Wenn man nicht nach wenigen Minuten wiederbelebt wird, stirbt der Mensch, man spricht vom plötzlichen Herztod.

Standard: Was ist der Unterschied zum Herzinfarkt?

Stix: Bei einem Herzinfarkt sind Herzkranzgefäße, die zum Herzmuskel führen, plötzlich verschlossen, und es kann dadurch kein Blut mehr durchgepumpt werden. Bei einem Herzinfarkt hat man Schmerzen, weil Teile des Herzmuskels absterben. Wenn ein Patient rechtzeitig ins Spital kommt, lässt sich das meist erfolgreich behandeln, indem wir verschlossene Gefäße im Herzkatheter wieder öffnen und Stents einsetzen. Häufig verursacht aber ein Herzinfarkt einen plötzlichen Herztod. Man nimmt an, dass ein Viertel aller Herzinfarkt-Opfer nicht ins Spital kommen, weil sie vorher an einem plötzlichen Herztod versterben.

Standard: Was sind die Ursachen?

Stix: Junge Menschen, deren Herz plötzlich versagt, haben meistens Herz-Vorerkrankungen, von denen sie nichts wissen. Also etwa eine Herzschwäche, einen zu dicken Herzmuskel, eine angeborene Neigung zu Rhythmusstörungen oder genetische Erkrankungen. Das schließen wir aus den wenigen Überlebenden, denn viele junge Patienten, die am plötzlichen Herztod sterben, kommen ja gar nicht mehr ins Spital und werden gar nicht mehr untersucht.

Standard: Wie viele überleben so etwas?

Stix: Weniger als ein Prozent.

Standard: Welche Theorien gibt es für den plötzlichen Herztod?

Stix: Es gibt viele Auslöser für den Herztod in jungen Jahren. Jeder für sich fällt unter die Rubrik "seltene Erkrankung". Bei manchen handelt es sich um "erworbene" Erkrankungen, andere sind auf genetische Prädispositionen zurückzuführen. Viele kennen wir noch gar nicht.

Standard: Welche genetisch bedingten sind bekannt?

Stix: Das Lange QT-Syndrom und das Brugada-Syndrom. Beides sind Erkrankungen, bei denen der Ionenaustausch in den Zellmembranen des Herzmuskels gestört ist. Im Röntgen oder Ultraschall schaut das Herz ganz normal aus, trotzdem liegt eine elektrische Erkrankung des Herzes vor. Beim Brugada-Syndrom tritt der Herztod meist zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr ein, obwohl das Herz bis dahin einwandfrei funktioniert hat.

Standard: Wer sollte sich Sorgen machen?

Stix: Ein Indikator für ein mögliches Risiko ist, wenn in einer Familie plötzliche Herztode gehäuft vorgekommen. Auch ein EKG kann erste Hinweise liefern. Ein definitiver Nachweis für genetische Ursachen, etwa auch für gewisse Arten von Laminopathien, kann nur in Speziallabors erbracht werden. Die gibt es in Österreich aber nicht, es gibt leider auch keine Kostenübernahme. Unsere Erfahrung ist aber auch, dass es meist Vorzeichen für einen plötzlichen Herztod gibt.

Standard: Welche Alarmsignale?

Stix: Ein unerklärlicher Leistungsknick, eine kurze Bewusstlosigkeit oder Anfälle von Herzrasen. Menschen mit familiärer Vorbelastung sollten besonders achtsam sein und sich kardiologisch durchchecken lassen. Mit einer Blutuntersuchung, einem EKG, einem Herz- Ultraschall, einem Belastungs-EKG und einem 24-Stunden-EKG lassen sich gefährliche Herzerkrankungen oft rechtzeitig erkennen. Das Problem bei jungen Menschen: Sie nehmen Alarmsignale nicht ernst.

Standard: Werden solche Risiken bei der Gesundenuntersuchung erkannt?

Stix: Nicht unbedingt, ein Herz-Ultraschall gehört nicht zur Routine.

Standard: Welche Rolle spielt Stress?

Stix: Stress ist sicher ein wichtiger Faktor und lässt die Herzinfarkt-Rate steigen, das wissen wir aus epidemiologischen Untersuchungen. Herzinfarkte und plötzlicher Herztod treten auch häufiger von Sonntag auf Montag auf als an jedem anderen Tag der Woche, weil da der Stress wieder zunimmt. Aus diesem Wissen allein lässt sich aber leider für einen Einzelnen keine Vorhersage treffen. Wir wissen ja auch nicht genau, wie das Stresshormon Adrenalin auf den Herzmuskel wirkt, weil wir diese Rezeptoren bildlich nicht darstellen können. Es ist leider so, dass der eine besser, der andere schlechter mit Stress zurechtkommt und sich Gefahren im Vorhinein einfach nicht identifizieren lassen.

Standard: Und wenn das möglich wäre ...

Stix: ... bekämen Hochrisikopatienten alle prophylaktisch Beta-Blocker. Wir wissen aus klinischen Studien an Herzkranken, dass Beta-Blocker die Todesrate durch plötzlichen Herztod senken.

Standard: Kann Extremsport zu Problemen führen?

Stix: Sportliche Betätigung ist äußerst wichtig. Bei Athleten gibt es aber eine erhöhte Rate an plötzlichen Todesfällen. Bei entsprechender Veranlagung kann beim Training mit zu hoher Herzfrequenz der Herzmuskel zu dick werden, und das kann zum Herztod führen. In Italien werden Leistungssportler systematisch untersucht. Ist der Herzmuskel zu dick, darf ein Sportler nicht an Wettbewerben teilnehmen. Das hat die Todesrate bei Athleten in Italien gesenkt.

Standard: Wie wichtig ist gesunder Lebensstil?

Stix: Enorm wichtig. Wir essen zu fett und zu viele tierische Eiweiße. Es ist sogar anzunehmen, dass die geltenden Normalwerte von Cholesterin, vor allem von LDL, zu hoch sind, um Atherosklerose zu verhindern. Wir machen zu wenig Sport und rauchen zu viel. Das alles ist eine Katastrophe für das Herz. Wir sehen zunehmend junge Menschen, die einen Herzinfarkt erleiden, früher waren mehr Männer betroffen, heute sind es Frauen genauso. Auch Kokainkonsum erhöht das Risiko für einen Herzinfarkt.

Standard: Können Herzprobleme durch Viren ausgelöst werden?

Stix: Ja, wir vermuten aus klinischen Beobachtungen, dass gewisse Formen von Herzschwächen durch virale Infekte ausgelöst werden. Ich kann also nur jedem, der einen fieberhaften Infekt durchmacht, raten, ihn gut auszukurieren und sich während der Erkrankung keinen Belastungen auszusetzen.

Standard: Wie soll man reagieren, wenn jemand zusammenbricht?

Stix: Wichtiger als alles andere ist die Wiederbelebung. Die sollte eigentlich jeder können. Mit Herzdruckmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung lässt sich der Kreislauf über relativ lange Zeit aufrechterhalten, bis die Rettung kommt. (Karin Pollack, DER STANDARD Printausgabe, 19.10.2009)