Die Aufnahme zeigt die Bewegungen der kriechenden T-Zellen (grün) innerhalb der Blutgefäße (rot) über einen Zeitraum von zirka 20 Minuten. Deutlich zu erkennen ist, dass einige T-Zellen die Blutgefäße verlassen und ihre grüne Spur durch das umgebende Hirngewebe ziehen.

Bild: MPI für Neurobiologie

München - Ein Forschungsteam mehrerer deutscher Forschungseinrichtungen, darunter des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried und des Anatomischen Instituts der Universität Erlangen-Nürnberg, hat erstmals beobachten können, wie sich aggressive Immunzellen bei einer Multiplen Sklerose ins Gehirn hieven, um dort Entzündungen und Schäden anzurichten. Die Studie wurde in der aktuellen "Nature"-Ausgabe veröffentlicht.

Der Hintergrund: Bei Krankheiten wie der Multiplen Sklerose dringen Zellen des Immunsystems in das Hirngewebe ein, wo sie großen Schaden anrichten. Lange Zeit war es ein Rätsel, wie diese Zellen den Blutstrom verlassen können, denn Blut- und Nervensystem sind normalerweise durch Blutgefäßwände voneinander getrennt. Dass die Immunzellen dennoch zu den Nervenzellen vordringen können, war bisher nur durch Gewebeschnitte belegt. Wie diese Blut-Hirn-Schranke durchbrochen wird, konnte bisher nicht gezeigt werden.

Markierte Zellen

Diese Hürde nahm das Forschungsteam nun. Die Wissenschafter markierten aggressive T-Zellen mit dem Grün Fluoreszierenden Protein (GFP) in Ratten, wodurch sie die Zellenbewegungen im lebenden Gewebe durch ein Zwei-Photonen-Mikroskop verfolgen konnten.

Die Forscher fanden heraus, dass die aggressiven T-Zellen die Grenzbarriere zwischen Blut und Nervengewebe in mehreren Schritten überwinden. Außerhalb des Nervensystems bewegten sich die markierten Zellen wie erwartet: Die meisten Zellen ließen sich vom Blutstrom treiben. Nur vereinzelt blieben Zellen für kurze Zeit an den Gefäßwänden haften, bevor sie in Richtung des Blutstroms weiterrollten oder wieder mitgerissen wurden. Erreichten die T-Zellen jedoch die Gefäße des Nervensystems, so verhielten sie sich völlig anders.

Überraschendes Verhalten: "Kriechen"

Immer häufiger beobachteten die Wissenschafter, wie sich die Zellen an den Gefäßwänden festsetzten. "Richtig spannend wurde es dann, als wir sahen, dass die Zellen kriechen - das war ein bisher gänzlich unbekanntes Verhalten für T-Zellen", berichtete Ingo Bartholomäus. "Kriechen" beschreibt hier eine aktive Bewegung der Zellen, die vor allem gegen den Blutstrom verläuft. Die Forscher beobachteten, wie die T-Zellen für mehrere Minuten bis Stunden an den Gefäßwänden entlangwanderten und oder ihre Kreise zogen. Am Ende dieser Suchbewegung wurden die Zellen entweder wieder vom Blutstrom mitgerissen oder sie zwängten sich durch die Gefäßwand.

Hatten die Zellen die Barriere der Blut-Hirn-Schranke erfolgreich durchbrochen, setzten sie ihre Suche im Umkreis der Blutgefäße fort. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die T-Zellen auf eine der sogenannten Fresszellen (Makrophagen) stießen. Traf eine der beweglichen T-Zellen auf solch eine Fresszelle, so bildeten die beiden ein eng verbundenes Paar. Dass T-Zellen erst mit Fresszellen in Kontakt treten müssen, um ihre Immunfunktion auszuüben, ist seit längerem bekannt. Völlig neu ist jetzt, dass Forscher erstmals solche Interaktionen direkt an der Blut-Hirn-Schranke beobachteten.

Angriff auf das Nervensystem

Erst nach dem Kontakt mit den Fresszellen begannen die T-Zellen entzündungsfördernde Botenstoffe auszuschütten und so den Angriff auf das Nervensystem einzuleiten. Als eine der Folgen durchquerten immer mehr T-Zellen die Wände der Blutgefäße. "Anscheinend ist die Aktivierung der T-Zellen an der Grenze zum Nervengewebe somit ein entscheidendes Signal für die Invasion der Immunzellen", folgerte Alexander Flügel, der Leiter der Studie.

Und noch etwas fanden die Wissenschafter durch die "Live-Beobachtungen" heraus: Gaben sie spezielle Antikörper, die bereits in der MS-Therapie eingesetzt werden, ins Blut, so verschwanden die kriechenden Zellen. "Bisher wurde angenommen, dass diese Antikörper das Austreten der T-Zellen aus den Blutgefäßen blockieren", so Ingo Bartholomäus. "Unsere Beobachtungen zeigen nun, dass sie bereits das Kriechen verhindern - also einen Schritt früher eingreifen als bisher angenommen." (APA/red)