Elinor Ostrom hält mehr von Gemeinschaft als von Markt oder Staat. Die frisch ernannte Wirtschaftsnobelpreisträgerin im Gespräch mit András Szigetvari über Aufteilung von Weideland, Fische, Barack Obama und Jugendkriminalität - und über das Gefühl, als erste Frau in der Geschichte die bedeutsame Ehrung zu erhalten.
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Die Amerikanerin Elinor Ostrom ist die erste Frau, die den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommt. Sie wird heuer gemeinsam mit ihrem Landsmann Oliver Williamson ausgezeichnet. Der Preis wurde ihr für ihr wissenschaftliches Engagement für das Management natürlicher Ressourcen zuerkannt. Unter anderem hat sie umfangreich zu Fischbeständen und Gewässern sowie zu Wald- und Weideland geforscht. Ihr Markenzeichen ist der Einsatz gegen unfaire Verteilung.
Die 1933 in Los Angeles geborene Ostrom studierte Politikwissenschaft und arbeitete zunächst in einer Anwaltsfirma in Boston. Später kehrte sie zur Uni zurück und machte ihren Doktor. Die Forscherin unterrichtet heute Politikwissenschaft an der Indiana University in Bloomington. DER STANDARD erreichte sie telefonisch in Indiana.
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STANDARD: Sie haben den Nobelpreis für Ihre Arbeit über die Nutzung von Gemeinschaftsgütern wie Wasser, und Luft bekommen. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Ostrom: Zunächst über meine Dissertation. Das zentrale Thema darin war die Lösung eines sehr schwerwiegenden Problems in Kalifornien, es ging um die Nutzung des Grundwassers. Von den akademischen Debatten zu Gemeinschaftsgütern wusste ich gar nicht viel, mich faszinierte das Problem.
STANDARD: Worin genau lag es?
Ostrom: Das Grundwasserreservoir der Stadt Los Angeles liegt direkt beim Meer. Die Gefahr besteht also darin, dass bei zu viel Wasserentnahme, Salzwasser in das Reservoir eindringt. Während dem Zweiten Weltkrieg stieg die Industrialisierung von Los Angeles sprunghaft an, aber zunächst machte sich niemand Sorgen. Durch die gestiegene Wasserentnahme war das Grundwasser bis 1945 so weit abgesunken, das erst zum Problem wurde. Die Wasserentnahme musste geregelt werden.
STANDARD: Und das gelang?
Ostrom: Es war keine einfache Sache. In die Gespräche waren 700 Wasserproduzenten, 11 Gemeinden und der Staat involviert. Letztlich gab es Millionen Betroffene. Das erstaunlich war aber, dass eine Lösung in den mühsamen Verhandlungen gefunden wurde.
STANDARD: Sie haben später viele Gruppen, etwa Fischer in der Türkei und auf den Philippinen, untersucht, die den Verbrauch von Gemeinschaftgütern selbst regeln. Wann funktioniert die Selbstregulierung?
Ostrom: Ich habe dafür eine komplexe mathematische Formel entwickelt, aber das wird die Leser vermutlich weniger interessieren. Einfacher gesagt, muss das genutzte Gut möglichst eingrenzbar sein. Daher ist es leichter eine Lösung für die Aufteilung von Weideland in den Schweizer Aloen zu finden, als es beim Grundwasser in Los Angeles. Die Gruppe muss eine moderate Größe haben. Sie muss aber auch nicht winzig sein, in Los Angeles waren über 700 Akteure beteiligt. Das Problem muss für die Gruppe wichtig sein. Schließlich darf der Staat die Gemeinschaft nicht behindern.
STANDARD: Sie beschreiben Modelle, bei denen es um Ressourcen mit überschaubarer Größe geht. Wo liegt die Grenze: Können mit Ihrem Sozialmodell auch die Meere geschützt werden?
Ostrom: Das ist eine viel schwierigere Frage. Beim Schutz der Weltmeere macht sich die Menschheit gar nicht gut.
STANDARD: Bei globalen Problemen helfen Ihre Theorien über Gemeinschaftsnutzung also nicht?
Ostrom: Das kommt darauf an. Wir könnten bei der Eindämmung der Treibhausgasse mehr erreichen als beim Schutz der Weltmeere. Durch die Eindämmung der Treibhausgase können auch lokale Nutzen entstehen. Ein Beispiel: Ich habe vor einem Jahr in Freiburg ein Seminar gehalten, und weiß von damals, dass Freiburg wirklich hart an der Erweiterung von Radwegen arbeitet, was auch große lokale Nutzen hatte.
STANDARD: Welche?
Ostrom: Die Umweltverschmutzung ist in der Stadt gesunken. Die Menschen leben aber auch gesünder, weil sie erwartungsgemäß mehr Rad fahren. Und nebenbei werden die Kosten für Energie gesenkt. Also hilft die Maßnahme der Atmosphäre und es gibt viele lokale Vorteile. Beim Weltmeer gibt es keine lokalen Profiteure: Schließlich lebt niemand unter dem Meer.
STANDARD: Bedeutet es für Sie etwas, als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis zu bekommen?
Ostrom: Natürlich. Ich stamme aus einer anderen Zeit. Ich wurde stark entmutigt, auf eine Universität zu gehen. Als ich auf der Uni zu arbeiten anfing, ging ich oft zu akademischen Treffen und keine einzige Frau war dabei. Da sind wir heute natürlich weiter, wobei wir da immer noch ein großes Gemeinschaftsproblem zu lösen haben.
STANDARD: Wer wollte Sie davon abhalten, auf die Uni zu gehen? Die Gesellschaft?
Ostrom: Akademiker. Und meiner Mutter. Ich habe damals einen Job in der Univerwaltung. Meine Mutter hat mich gefragt, ob ich als Assistentin mehr verdiene als in der Verwaltung. Ich sagte Nein. Darauf fragte sie mich, wozu ich es dann überhaupt machen will.
STANDARD: Einer der anderen Nobelpreisträger heuer war Präsident Barack Obama. Was halten Sie von seiner Auszeichnung?
Ostrom: Ich kenne die Details nicht. Aber ich war sehr, sehr froh, dass seine Arbeit Anerkennung gefunden hat.
STANDARD: Glauben Sie eigentlich mit der Behandlung des Themas Kollektivgüter die Welt zu einem besseren Ort zu machen? Warum ist das Thema wichtig?
Ostrom: Diesen Punkt versuche ich nicht zu machen. Aber es gibt viele, viele Probleme - vom Frieden in der Nachbarschaft, Jugendkriminalität bis hin zu Umweltverschmutzung - die Kollektivgüter betreffen. Dabei geht es natürlich letztlich immer um die Frage, wie Menschen Konflikte lösen können, ohne auf Gewalt zurückzugreifen.
STANDARD: Lässt sich Ihre Arbeit auf eine zentrale Aussage bringen, so etwas wie: Der Markt kann nicht alles lösen?
Ostrom: Es gibt viele Orte, wo der Markt sehr gut funktioniert. Ich bin nur dagegen bei jedem Problem die Lösung ausschließlich beim Markt oder beim Staat zu suchen. Beides hat viel Schaden angerichtet. Unsere Arbeit soll genau das zeigen, dass es auch noch andere Wege gibt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17./18.10.2009)