Leitner sprach mit Stefan Gmünder über das Projekt, das am Montag startet.
Standard: "Österreich liest" versteht sich auch als Imagekampagne. Warum ist das Image des Lesens schlecht, vor allem bei jungen Menschen?
Leitner: Grundsätzlich gilt: Wo etwas für das Lesen getan wird, brauchen wir uns keine Sorgen machen, wo nichts getan wird, sollten wir uns ernsthafte Sorgen machen. Gravierende Probleme sehe ich im ungleichen Zugang zur Literatur und darin, dass uns ein großer Teil der Bevölkerung für das Lesen wegbricht. Die Pisa-Ergebnisse zeigen, dass 20 Prozent der österreichischen Schüler am Ende der Schulzeit über rudimentäre Lesekenntnisse verfügen. Diese Gruppe fällt in der Gesellschaft in vielfacher Weise aus. Nicht nur für das "schöne" Lesen, sondern sie fällt auch für viele Berufe und als ernstzunehmender Partner im politischen Diskurs aus, da sie mit schriftlicher Information nicht zu erreichen ist. Es handelt sich hierbei nicht um ein schöngeistiges Problem, sondern um ein gesellschaftspolitisches. Wenn man nicht dagegenhält, braucht man sich nicht wundern, dass wir in Österreich seltsame Wahlergebnisse haben.
Standard: Apropos Demokratie: Österreich hat immer noch kein Bibliotheksgesetz.
Leitner: Ich glaube, dass sich Unterrichtsministerin Claudia Schmied ernsthaft mit diesem Problem auseinandersetzt. Allerdings sind die Rahmenbedingungen durch die wirtschaftliche Krise nicht die besten. Ich habe aber den Eindruck, dass man eine Verbesserung des Bibliothekswesens erreichen will. Das Bekenntnis zur Lese- und Bibliotheksförderung sollte im Budget lesbar sein: Der Bund gibt zurzeit 21 Cent pro Kopf für die öffentlichen Bibliotheken aus, schrittweise sollte dies auf einen Euro angehoben werden - womit wir noch immer weit unter dem europäischen Durchschnitt liegen würden. Wenn man die Pisa-Ergebnisse korrigieren will, wird man das nicht über die Schule allein schaffen. Begleituntersuchungen zu Pisa zeigen, dass ein Viertel der zum Buchbestand in den Elternhäusern befragten Schüler sagen, es gebe unter 25 Bücher in ihrem Haushalt. Das ist kein Angebot, das die Lesefähigkeit fördert. Nur die öffentliche Hand kann diesen Missstand korrigieren. Wenn man das Geld jetzt nicht investiert, wird es später teurer werden. Man wird die Rechnung dafür präsentiert bekommen. Unsere Gesellschaft wird auseinanderbrechen, die Kluft zwischen Informationsreichen und Informationsarmen noch deutlicher werden.
Standard: Allerdings gibt es mit dem Wissensturm in Linz und der Wiener Hauptbibliothek auch Orte, die mit besseren Medienbeständen und einem insgesamt attraktiveren Zugang zur Literatur punkten.
Leitner: Die Situation der Büchereien ist in Österreich sehr unterschiedlich. Städte wie Wien und Linz, jetzt auch Salzburg, haben attraktive Angebote gesetzt. Auf der anderen Seite gibt es Städte und Gemeinden, die nicht in öffentliche Bibliotheken investieren. Das gilt auch für die Situation in den Bundesländern. In Vorarlberg etwa stehen den Einwohnern pro Kopf doppelt so viele Bücher zur Verfügung wie in Kärnten. Das heißt, die Chancengleichheit bezüglich des Zugangs zur Literatur ist gerade für nicht wohlhabende Menschen in Österreich sehr unterschiedlich. Das Erfreuliche aber ist, dass manche Städte in letzter Zeit auch architektonisch attraktive Bibliotheken zur Verfügung gestellt haben, die als Kommunikationszentren und - was ich für sehr wesentlich halte - Integrationszentren dienen. Die Hauptbücherei am Gürtel in Wien ist wahrscheinlich das beste Integrationszentrum für Jugendliche, nur wissen das die meisten Politiker nicht, ansonsten würden sie Ähnliches verwirklichen.
Standard: Was sind Ihre Wünsche für "Österreich liest"?
Leitner: Dass das Projekt so lebendig bleibt, wie es jetzt ist - und dass sich die Anerkennung für das Lesen nicht nur in den Reden, sondern auch in den Budgetzahlen widerspiegelt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2009)