Wien - Wenn sich die Tür zum Künstlerzimmer öffnet, ist es in den großen Konzertsälen üblicherweise mäuschenstill. Nicht so bei jenen Gästen aus Venezuela, die soeben in Wien waren. Das Simón Bolívar Youth Orchestra verströmte schon plappernde Partystimmung, bevor es auf dem Podium des Konzerthauses Position bezogen hatte - auch das übrigens ein freudig ausgekosteter Vorgang, bei dem die knapp 200 Musiker am Freitag im Saal begeistert in Empfang genommen wurden.

Die vielgepriesene Energie des zurzeit vielleicht prominentesten Jugendorchesters der Welt und ihres Chefs Gustavo Dudamel ist tatsächlich elektrisierend, beachtlich die klangvolle Homogenität und die Qualität etlicher herausragender Begabungen, die sich in solistischen Augenblicken in bestem Licht zeigten. Dennoch blieb der Gesamteindruck bei Tschaikowskys zu Recht selten gespielter Symphonischer Fantasie Francesca da Rimini lau und gleichförmig, zumal Dudamel wenig unternahm, um zu gestalten, sei es eine Phrase oder den Spannungsverlauf. Nicht weniger vordergründig wirkte auch Strauss' Alpensinfonie, bei der zwar (fast) alle Töne (fast) am rechten Ort waren, aber dennoch kein sinnvolles Klanggemälde entstand, zumal auch hier präzis musizierte Linien fast vollständig fehlten. Und geradezu stümperhaft gerieten die beiden Zugaben, eine seelenlos und wackelig exekutierte Tritsch-Tratsch-Polka und ein grober und ohne jede Eleganz absolvierter Radetzkymarsch.

So viel Gutes das venezolanische Kinder- und Jugendmusikprogramm "El Sistema" auch bewirkt, so viel Spaß das SBYO vermittelt: Nüchtern betrachtet ist es ein verdammt gutes Jugendorchester, aber auch nicht mehr.

Bei Profis verhält es sich umgekehrt: Tadellosem Handwerk steht bisweilen eine Erschlaffung der Motivation zur Seite, die sich der Musikintensität in den Weg stellt. Auch bei den Wiener Philharmonikern ist solch eine Erfahrung möglich, nicht jedoch, wenn Georges Prêtre zugegen ist. Der Maestro des Spontanen hat am Samstag jedenfalls bei Beethovens 3. Symphonie für jene Musikhitze gesorgt, die diesem Orchesterklang strukturbildendes Leben abseits des nur Betörenden verleiht.

Als Meister der Kontraste inszenierte Prêtre einen nie oberflächlich anmutenden Dialog zwischen Legatoseligkeit, jugendlichem Schwärmen und ruppiger Kraftentfaltung. Ähnliches bei Strauss' Heldenleben (glänzende Solovioline: Albena Danailova), wobei im vielstimmigen Tumult der Opulenz bisweilen leider die Transparenz verlorenging. (daen, toš / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2009)