1) Bleiberecht nach fünfjährigem Aufenthalt unter bestimmten Voraussetzungen

Dem VfGH widerspricht die gängige Praxis der Ausweisungen auch nach mehrjährigem Aufenthalt dem Artikel 8 der EMRK (Recht auf Privat- und Familienleben) und ist damit als verfassungswidrig einzustufen. Die VerfassungsrichterInnen haben dazu einen Kriterienkatalog vorgelegt (u.a. Unbescholtenheit, Integrationsgrad). Treffen auf AntragstellerInnen diese Bedingungen zu, ist eine Abschiebung unzulässig.

Für mich stellt der VfGH-Entscheid zumindest einen begrüßenswerten Schritt in die richtige Richtung dar, aber der (Praxis)Teufel steckt wieder mal im Detail. Die geforderte "Integration" soll unter anderem an der "Selbsterhaltungsfähigkeit" und der Berufsausbildung bemessen werden. Erstere wird aber AsylwerberInnen durch das bestehende Arbeitsverbot verunmöglicht und der Zugang zur Aus- und Weiterbildung steht Asylsuchenden in der Regel ebenfalls nicht offen. Zwar weisen die VfGH-RichterInnen auch auf andere Merkmale von Integration hin (soziale Kontakte, Teilnahme am öffentlichen Leben), deren Beurteilung im Verfahren dürfte sich in der Praxis wohl aber als langwierig herausstellen. Tatsächlich geht der VfGH auch von einer Prüfung jedes Einzelfalls aus. Genau das erscheint mir angesichts der hohen Zahl an offenen Asylverfahren (laut BMI 34.634 mit Stand von Anfang Oktober) als unrealistisch. Auch die angekündigte Installierung eines eigenen Asylgerichtshofs wird, wie Georg Bürstmayr kürzlich in einem Kommentar im Standard herausgestrichen hat, diesen riesigen Aktenberg nicht bewältigen können. Da zu den Akten auch Tausende Menschen gehören, die sich seit Jahren im "Wartezimmer" zwischen drohender Abschiebung und einem Neubeginn in Österreich befinden, bleibt für mich nur eine humanitär angebrachte und praktisch angemessene Lösung: ein an wenigen und eindeutigen Kriterien bemessenes kollektives Aufenthaltsrecht ohne aufwändige Einzelfallprüfung nach, ich träume jetzt ein bisschen, einem nachweislich dreijährigen Aufenthalt in Österreich.

2) Aufschub von Abschiebungen

Der VfGH stellte in einem weiteren Entscheid fest, dass die als Teil des Fremdenrechtspaket vom 16 .8. 2005 beschlossene Regelung, die einen Aufschub einer aufgrund der Menschenrechtskonvention nicht zulässigen Abschiebung unmöglich machte, ebenfalls verfassungswidrig sei. Hier kann ich den RichterInnen nur beipflichten. Meine MitarbeiterInnen und ich kennen die Auswirkungen der Schubhaft und der Abschiebepraxis leider nur zu gut und würden uns über jede noch so kleine Verbesserung der derzeitigen Zustände freuen. Aber es darf auch nicht vergessen werden, dass sich auf diesem Gebiet noch sehr viel tun muss (man denke nur an die unmenschlichen Bedingungen in der Schubhaft).

Zu dem Entscheid drängt sich mir allerdings noch eine Frage auf: warum ist in den mehr als zwei Jahren seit Verabschiedung des Fremdenrechtspakets keinem der JuristInnen auf den Parlamentsbänken oder den einschlägigen ExpertInnen der Regierungsparteien aufgefallen, dass hier eine eklatante Verletzung der Verfassung vorliegt? Und das obwohl seitens der NGOs aus dem Asylbereich immer wieder auf juristische Schwachpunkte und Unmenschlichkeiten des neuen Asyl- und Fremdenrechts hingewiesen wurde? Oder wurden solche schwerwiegenden Entscheidungen wie die Abschiebungen von Flüchtlingen nach dem Motto "Probier´s ma halt" getroffen?

Fazit: Die Entscheide des VfGHs dürfen als, hoffentlich nicht nur dem "Arigona-Effekt" geschuldete, positive Signale gewertet werden, wenn auch der Reformdruck und "Vermenschlichungsbedarf" im Asyl- und Fremdenrecht weit darüber hinausgeht.

Den VerfassungsrichterInnen und den Blog-LeserInnen wünsche ich damit schöne Feiertage!