Ich muss ihnen zustimmen. Soap Operas sind obsolet. Es mag ja anfangs, vor etlichen Jahrzehnten, eine brilliante Idee gewesen zu sein, und eine lukrative dazu, eine fiktive Seifenblase als innerlichen Zufluchtsort für die brave Vorstadt-Ehefrau, Mutter zwei bis dreier Kinder und Hausfrau, zu kreieren.
Die sich nach dem Frühstück mit dem dreckigen Geschirr plagte, während im Hintergrund das Radio lief, während ihr Gemahl, Manager eines großen Waschmittelkonzerns mitten in der Weltwirtschaftskrise, ihr beim Spülen zusah. Was könnte geplagte Hausfrauen wohl besser an nervtötende Werbespots binden als eine Fortsetzungsserie mit Schicksalsschlägen und Lovestories, muss er sich gefragt haben. Und 1933 finanzierte sein Unternehmen die erste tägliche Serie im Radio. Und so nebenbei wurde - als Rahmenhandlung quasi - Waschmittelwerbung geschalten.
Der Vorläufer der Seifenoper war geboren - und mit ihm die Verschwörung. Denn fortan nahm die Hausfrau - hier stellvertretend für weitere Kohorten erwähnt - täglich an einem dramatischen Geschehen teil und der Konzern ihres Mannes erzielte unterdessen aus dem Herz-Schmerz-Seifen-Gemisch ordentlich Gewinn. Nur wenige Jahre später machte er Geld für zwanzig weitere Serien locker. Von da an lässt sich so etwas wie die Geschichte der Seifenoper erzählen. Sie zieht sich durch die Radios und Fernsehapparate aller Kontinente.
---> Her-Story repeated.
Was bereits der amerikanischen Hausfrau wie die Fortsetzung ihres Alltags erschien, war in Wahrheit verkehrte Welt: Zunächst wurden die Ereignisse erfunden, dann erst die Figuren, die sie erlebten. Vielleicht ist es Zufall, dass die erste Soap-Opera, die 1947 nach dem Radio nun auch für das Fernsehen produziert wurde, "A woman to remember" hieß. Vielleicht. Immerhin waren es die Frauen, in deren Alltag anscheinend so wenig Aufregendes passierte, dass sie sich ihre Erlebnisse via Bildschirm verschafften - und das ideale Waschmittel gleich mit. Und bis heute haben Telenovelas mehr weibliches als männliches Publikum, das sich zwischen den Werbeblöcken in ein ach so spannendes Leben, in ein beständiges Auf und Ab der Emotionen verwickeln lässt. Kein Wunder, stehen zumeist auch weibliche Figuren im Vordergrund der eingeseiften Handlung, und Dialoge sind die Orte der Handlung.
Beziehungen zu SerienheldInnen sind ganz besondere: Sie basieren auf Vertrautheit und Kontinuität und sind so real wie die durchgesessenen Polster der Fernsehfauteuils. Am Ende jeder Folge, wenn die HauptdarstellerInnen in einer dramatischen oder gar gefährlichen Situation zurückgelassen werden, erliegen die Zuschauerinnen ihren Gefühlen. Sie baumeln am Cliffhanger, dem Stilmittel einer jeden Soap, das nichts anderes versucht zu bewirken, als die Liebe auf den ersten Blick nie enden zu lassen: Einmal gesehen, nie wieder davon gelassen.
Formale Aspekte waren und sind die langsame, vor allem auf Gesprächen aufgebaute und viele Wiederholungen enthaltende thematische Entwicklung. Damit wird sichergestellt, dass frau nichts verpasst, auch wenn sie einmal eine - oder mehrere - Episode(n) verpasst.
Während sich die nordamerikanische Soap ("Guiding Light", "General Hospital", "The Bold and the Beautiful") sich an der gutsituierten Oberschicht orientiert, spielt die britische Seifenoper ("Coronation Street", "EastEnders") im ArbeiterInnenmilieu. Die USA oder England sind aber nicht die Hauptproduzenten und -exporteure von Soaps: Brasilien und Mexico sind in dieser Hinsicht die führenden Nationen.
----> Blutleer
Und auch im deutschsprachigem Raum sprießen sie mittlerweile wie Schwammerl aus überdüngtem Boden: Früher gab es die "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (RTL), "Marienhof" (ARD), "Unter uns" (RTL); heute macht ARD auf dicken Frauenfeeder, wie eingangs erwähnt. Auch das ZDF ist mit "Reich und schön" und den "Wegen zum Glück" am Start. Der ORF bleibt den US-amerikanischen Produktionen großteils treu, hat aber mit "Anna und die Liebe" alarmierend Hirnloses implementiert. Alle diese Telenovelas beschränken sich weitgehend auf die Themen der aus Amerika stammenden Soaps, und einige sind nach und nach - was positiv anzumerken ist - gar mit queeren und gesellschaftpolitischen Themen aufgepeppt worden. Elemente des sozialen Realismus, wie sie in England zu finden sind, existieren abseits der "Lindenstrasse" aber nicht. Blutleer und herzlos sind die Charaktere, in redundanten Scripts gefangen. Den gekünstelten Eindruck kriegt man auch durch die Verjüngungskur mit aufpolierten Früh-Twens in bekannten Kleiderketten-Klamotten, Hipstern mit schnieken Frisuren am Kopf und coolen Geschäftsideen darin nicht weg - das Gegenteil ist der Fall. Aber diese Entwicklung erklärt das starke weibliche Teenager-Fantum: Denn heutzutage teilen sich nicht nur Hausfrauen, sondern verstärkt Schülerinnen und Studierende ihre (akademischen) Hausaufgaben nach Sendezeit ein.
Trotz allem Erklärungspotenzial, dass Drama eben zieht, aktuelle soziokulturelle Thematiken den Charakteren zugeschrieben werden, dass eines aus der breiten Palette im Angebot sicher auch mal die Lebenswelt der Zuseherinnen streifen muss, dass hübsche Gesichter präsentiert werden usw. - ich tu' mir dennoch schwer zu verstehen, was so viele Junge dazu treibt, lieber "Stürmische Wege zu schlechten Rosen" als zum Beispiel "Die Simpson" einschalten. Oder: ganz abzuschalten. (bto/16.9.2008)