Wien - Im tiefen Mittelalter glaubten die Menschen an Gott und an den Teufel. Manche glaubten zur Vorsicht auch noch an Wotan. Andere glaubten zum Beispiel auch, dass bei einer Frau die Gebärmutter schrumpft, wenn sie lesen lernt. Sie bildeten die große Masse der Unbelehrbaren. Es brauchte viele Jahrhunderte Fortschritt und Aufklärung, damit ein erleuchtetes Zeitalter wie das unsere nun auch in der fernen Vergangenheit schon den Vorschein der allgemeinen Schulbildung, der Gleichberechtigung der Geschlechter und des Cross-Dressings (also der bis vor kurzem gern noch sogenannten "Hosenrolle") zu erkennen.
Die Autorin Donna Woolfolk Cross hat aus der ehrwürdigen Legende von einer Päpstin Johanna, die es im 9. Jahrhundert bis auf den höchsten Thron der Christenheit schaffte, eine höchst heutige Geschichte gemacht, mit Heilkunst und Wanderschaft, hehrer Liebe und jahrzehntelanger Entsagung, Medicus und Spiritus. Das alles vor dem Hintergrund der Frage nach den ewigen Wahrheiten, nach Glauben und Vernunft und nach der inneren Freiheit hinter Kutten.
Die Päpstin heißt der Bestseller, er trug von Beginn an eine Verfilmung in sich, es musste nur erst noch die Form dafür erfunden werden. Sönke Wortmann hat nun, nach mancherlei Streiterei und einem Rückzug des früher einmal vorgesehenen Regisseurs Volker Schlöndorff, die mustergültige Adaption hergestellt - es ist tatsächlich der perfekte "Amphibienfilm" geworden, zweieinhalb Stunden lang im Kino und für das Fernsehen demnächst locker um eine halbe Stunde so verlängerbar, dass ein Zweiteiler für die beste Sendezeit herauskommt.
Der sensationelle Aufstieg von Johanna "Johannes" Angelicus beginnt im hintersten Franken. Johanna ist das dritte Kind eines Urwaldpfarrers (damals galt für seinesgleichen noch kein Zölibat). Er ist ein rechter Berserker der Unvernunft, der aus seiner begabten Tochter die Belesenheit hinauszuprügeln versucht.
Wissen ist das eigentliche Thema von Die Päpstin, und hier verwickelt sich der Film auch am deutlichsten in einen Widerspruch: Er tut nämlich ständig ungeheuer klug, stellt sich dabei aber dämlich an. Dass im 9. Jahrhundert ein christlicher Intellektueller den Satz "Cogito, ergo deus est" geäußert haben könnte, ist nicht vollständig auszuschließen, bekommt jedoch im Kontext der allgemeinen Unvernunft, an der sich Sönke Wortmann weidet, einen etwas ausgeflippten Klang.
So häufen sich, je aufwändiger die ganze Produktion das historische Setting betont, die Gegenwartszeichen. Johanna (über weite Strecken von Johanna Wokalek gespielt) ist ein Instrument "zum Wohle der Menschheit", sie vereint die ganze Vernunft eines Zeitalters auf sich, bis sie an den Widersprüchen ihres Lebensprojekts zerbricht. Das dramatische Finale ist so blutig, dass entweder tatsächlich eine geschrumpfte Gebärmutter zu vermuten steht - oder eine mystische Vereinigung, ein Liebestod, in dem die mittelalterliche Ordnung endgültig gesprengt wird. Wer danach noch nach Aufklärung verlangt, hat nichts begriffen - oder leidet vielleicht unter einer Hirnschrumpfung. (Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe, 21.10.2009)