SPÖ und ÖVP entwickeln sich klar auseinander. Nicht nur wegen der Auseinandersetzung über den EU-Kommissar / die EU-Kommissarin, die sich anscheinend darum dreht, was der Unterschied zwischen einem kleinkarierten und einem Pepita-Muster ist. Sondern auch in der großen gesellschaftspolitischen Frage der Umverteilung, bzw. der Verteilungsgerechtigkeit. Die SPÖ hat sich offenbar entschlossen, voll auf jenen - bereits sehr großen - Teil der Bevölkerung zu setzen, der soziale Transferleistungen braucht, um auf ein akzeptables Einkommen zu kommen.

Die ÖVP hingegen hat jene entdeckt, die das bezahlen. Daher der Vorschlag von Josef Pröll, für jeden ein sogenanntes Transferkonto einzurichten, auf dem die sozialen (Ausgleichs-)Zahlungen aufscheinen. Damit man weiß, was von da nach dort fließt, sagen die einen. Das sei nur der Auftakt zu Kürzungen, sagen die anderen.

Josef Pröll hat damit die immer intensivere Forderung vieler SPÖ- und Gewerkschaftsfunktionäre nach einer "Reichen"- oder Vermögenszuwachssteuer (die unweigerlich auch den Mittelstand treffen müsste) taktisch ganz geschickt konterkariert. Dem Gegenschlag der SPÖ - "dann müssen aber auch die Subventionen für die Bauern und die Förderungen für Unternehmer" aufgelistet werden - entgegnete er mit einem "Klar, warum nicht?".

Mit oder ohne Transferkonto ist aber allen Experten die österreichische Einkommensrealität längst bewusst: zum Beispiel, dass Hunderttausende, wenn nicht Millionen, aus den verschiedensten Berufsgruppen ohne staatliche Transferleistungen nicht leben können.

Die Bauern zum Beispiel beziehen 50 bis 60 Prozent ihres Einkommens aus staatlichen Subventionen. Aber der berühmten alleinerziehenden Supermarkt-Kassiererin geht es auch nicht anders: Im untersten Einkommensdrittel verdient man z. B. rund 950 Euro brutto im Monat. Dazu kommen aber 750 Euro an Transferleistungen (Studie des Ex-Wifo-Experten Alois Guger).

Diese Transferleistungen sind der Grund dafür, warum - wie eine Studie der OECD ergab - Österreich zu den Ländern mit der gleichmäßigsten Einkommensverteilung bei den Haushalten gehört. Die Schere geht zwar bei den Erwerbseinkommen auseinander (u. a. weil so viele Frauen nur noch Teilzeit arbeiten), aber die Transferzahlungen gleichen das wieder aus. Guger kommt zu dem Schluss: "Die untere Hälfte der Haushalte gewinnt durch die staatliche Umverteilung, die obere Hälfte finanziert sie."

Gugers Studie enthält allerdings nur die Arbeitnehmereinkommen. Weder bezieht er die sogenannten "Neuen Selbstständigen" ein - Einpersonenunternehmer, die inzwischen nach Hunderttausenden zählen; noch sind in der Rechnung die Einkommen aus Vermögen enthalten, die sich nicht nur bei den Superreichen, sondern beim oberen Mittelstand konzentrieren. Da will die SPÖ zuschlagen, die ÖVP will es blockieren.

Worüber aber niemand redet, ist die Frage, warum überhaupt in einem hochentwickelten Land so viele ein so geringes Einkommen erreichen, dass praktisch die eine Hälfte die andere in diesem Ausmaß alimentieren muss. (Hans Rauscher/DER STANDARD-Printausgabe, 21.10.2009)