Zur Person

Johann Feichtinger ist Vorstand des Pathologisch-Bakteriologischen Instituts der Rudolfstiftung in Wien

Foto: derStandard.at/Türk

Mit diesen Utensilien werden Tumore zerschnitten, damit sie später unter dem Mikroskop auf Abnormalitäten hin untersucht werden können

--> Ansichtssache: Ein Tumor, scheibchenweise

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Pathologen arbeiten hauptsächlich im Hintergrund, sie haben eine gewisse Distanz zum Patienten, gleichzeitig hängt aber sehr viel von ihren Entscheidungen ab. Mit dem Tod hat der Pathologe zwar auch zu tun - nämlich bei Obduktionen - doch das macht nur einen geringen Bruchteil der Arbeit aus - anders als diverse Krimiserien assoziieren lassen. Marietta Türk sprach mit Johann Feichtinger, Vorstand des Pathologisch-Bakteriologischen Instituts der Rudolfstiftung in Wien, über seinen Berufsstand.

derStandard.at: Die Pathologen haben es als Berufsstand bis in Krimiserien geschafft. Stimmt dieses Bild vom Pathologen, der durch Gewalt herbeigeführte Tode untersucht?

Feichtinger: Das stimmt nicht. Die Tätigkeit, die in den Serien wie CSI stattfindet, ist die der Gerichtsmediziner. Die Gerichtsmedizin unterscheidet sich von der Pathologie in mehrerlei Hinsicht. Gemeinsam haben sie nur das Mittel der Obduktion zur Erkenntnisgewinnung. Der Unterschied: Gerichtsmediziner nutzen die Obduktion in erster Linie um festzustellen, wie jemand unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen ist, während die Pathologen eher fragen, woran oder warum jemand verstorben ist. Die Pathologische Obduktion ist gesetzlich geregelt, sie dient wesentlich der medizinischen Qualitätssicherung.

derStandard.at: Warum wird jemand im Krankenhaus obduziert?

Feichtinger: Wir erfassen wesentliche Grundkrankheiten, die mit Tod im Zusammenhang stehen und sind verpflichtet festzustellen, welche Erkrankung zum Tod geführt hat und was letztlich die Todesursache war. Zweitens stellen wir wesentliche Begleiterkrankungen fest.

derStandard.at: Die Obduktionen machen mittlerweile nur mehr einen geringen Bruchteil der pathologischen Arbeit aus. Was ist denn das Hauptmetier eines modernen Pathologen?

Feichtinger: Tatsächlich machen Obduktionen nur bis zu ein Prozent der Untersuchungen aus. Unsere Haupttätigkeit ist die histologische Befundung von Gewebeproben oder Operationspräparaten. Ebenso zytologische Untersuchungen - beispielsweise die gynäkologische Krebsvorsorgeuntersuchung. In den Wiener Pathologien wird auch ein Großteil der mikrobiologischen Untersuchungen vorgenommen - insbesondere bakteriologische Diagnostik. Dabei werden Keime bestimmt oder auf welches Antibiotikum ein bestimmter Keim empfindlich ist. Diese Tätigkeit stellt auch einen Bezug zur Krankenhaushygiene her, weil etwa dort die Daten, die bei uns erhoben werden, auf hygienische Aspekten hin ausgewertet werden.

derStandard.at: Das heißt, Sie haben sehr viel mit dem Leben zu tun.

Feichtinger: Wir haben fast nur mit dem Leben zu tun. Und auch dort, wo wir mit Toten zu tun haben, geht es letztlich darum, dass der Erkenntnisgewinn den Lebenden zugute kommt. Es gibt beispielsweise klinisch-pathologische Konferenzen (sogenannte postmortalities, Anm.), die sich mit der genaueren Analyse des Todesfalls auseinandersetzen. Dort wird das Ergebnis der Obduktion mit den Klinikern besprochen, was für künftige Therapien und Vorgehensweise sehr relevant sein kann.

derStandard.at: 50 Prozent der Pathologen sind Frauen. Aus welchen Beweggründen wird man Pathologe?

Feichtinger: Zur Frauenquote: Es gibt keine Nachtdienstverpflichtung für Pathologen. Das macht den Beruf der Pathologin vielleicht etwas familienfreundlicher als den der Klinikerin. Tatsache ist, dass es in Österreich eine Reihe ganz bekannter Frauen gibt, die Pathologiegeschichte geschrieben haben. Dennoch wage ich die Behauptung, dass trotz hohen Frauenanteils Spitzenpositionen überwiegend von Männern besetzt sind.

Ich selbst haderte anfangs schon mit mir selbst, weil der klassische heilende Ansatz, weshalb ich eigentlich begonnen hatte Medizin zu studieren, fehlte. Ursprünglich wollte ich auch nicht auf der Pathologie bleiben sondern Dermatologe oder Radiologe werden. Durch Zufall hatte ich aber einen Mentor, mit dem ich sehr früh begonnen habe wissenschaftlich zu arbeiten. Und neugierig bin ich schon. Für mich hat sich ein faszinierendes Feld eröffnet, in dem ich mich dem forscherischen Aspekt der Medizin widmen konnte. Was mir nach 28 Jahren besonders gefällt: Der generalistische Zugang ist eine Herausforderung, wir müssen über viele Dinge Bescheid wissen. Das macht es spannend. Darüber hinaus hat der Beruf auch etwas Detektivisches an sich.

derStandard.at: Aber ist diese Arbeit im Hintergrund manchmal ein Problem, weil man nicht so sehr die Anerkennung bekommt, wie andere Ärzte? Nämlich von Patienten, Kollegen, der Gesellschaft?

Feichtinger: Es hat einmal einen amerikanischen Pathologen gegeben, der gesagt hat: 'Wir sind stolze Diener der Kliniker'. Mit Betonung auf 'stolz'. Mag sein, dass sich Menschen in der Pathologie wohler fühlen, die ganz gute Zweite sind, das ist die persönliche Seite. Ich fühle mich ganz wohl dabei, nicht unmittelbar mit Patienten zu arbeiten, sondern eine gewisse Distanz zu haben, aber gleichzeitig zu wissen, dass das etwas ich tue, von erheblichen Nutzen für die Patienten ist.

Die Frage nach der Anerkennung des Faches ist eher eine berufs- bzw. fachpolitische: Im modernen Verständnis von Pathologie sind die Befunde interdisziplinär zu interpretieren. Insofern ist die Pathologie ein klinisches Fach. Ein konkretes Beispiel: Bei den interdisziplinären Tumorboards, bei denen PatientInnen mit Tumorerkrankungen besprochen werden, ist immer ein Pathologe präsent. Aufgrund der neuen Methoden der Diagnostik ist das für die Therapie von eminenter Bedeutung. Daher steigt sehr wohl die medizin-interne Reputation des Faches.

derStandard.at: Sie müssen oft während Operationen entscheiden, wie der Chirurg weiter vorgeht.

Feichtinger: Ich treffe Entscheidungen an Hand so genannter intraoperativer Schnellschnitte aus dem OP. Ein Träger überbringt mir das zu untersuchende Gewebe, es wird rasch verarbeitet und umgehend eine Diagnose am Mikroskop erstellt. Diese wird telefonisch in den OP weitergegeben, noch während sich die Patienten in Narkose befinden.

Diese Intervention ist dann notwendig, wenn operationstaktische Überlegungen davon abhängen: Wird weiteroperiert oder kann man eine OP abbrechen? Ist genug diagnostisches Gewebe vorhanden? Wesentlich ist bei der Entfernung eines Tumors oft auch die Frage ob der Chirurg sich schon im gesunden Gewebe oder noch Tumor befindet. Der Chirurg ist abhängig von unserer Antwort und die bekommt er innerhalb von 15 bis 20 Minuten.

derStandard.at: Ist es Ihre Entscheidung ob einer Frau die Brust abgenommen wird oder nicht?

Feichtinger: Bei der Mammachirurgie stellt sich diese Form der Entscheidung nur mehr ganz ganz selten, weil gerade bei Brustkrebs heutzutage zum Zeitpunkt der OP nicht mehr die Frage im Raum steht, ob es ein gut- oder bösartiger Tumor ist. Früher war das aber schon so, der Pathologe musste diese Entscheidung häufig treffen. Heute wird ein Tumor schon vor der Operation diagnostisch abgeklärt, die Frauen wurden biopsiert. Die Fragestellung hat sich verschoben: ist der Schnitt ausreichend im Gesunden und muss bei einer Brust erhaltenden Therapie noch weiteres Gewebe weggeschnitten werden.

derStandard.at: Setzen Sie diese Entscheidungen unter Druck?

Feichtinger: Man lernt mit dieser Verantwortung zu leben. Im Hinterkopf muss man haben: man kann immer noch etwas wegschneiden, aber man kann nichts mehr zurücktun. Im Zweifelsfall entscheide ich deshalb defensiv. Und manchmal muss ich auch den Mut haben zu sagen, ich bin mir nicht sicher und muss dann das Ergebnis aussagekräftigerer Untersuchungen abwarten.

derStandard.at: Haben Sie Angst vor Fehldiagnosen?

Feichtinger: Natürlich habe ich auch Angst Fehler zu machen. Aber es gibt Möglichkeiten der Fehlervermeidung. Ist sich jemand nicht ganz sicher, holt er einen zweiten Facharzt zum Mikroskop. Diese zwei Minuten sind gut investiert. Bestimmte Präparate, beispielsweise Biopsien von Brustkrebs, werden an unserem Institut immer von zwei Fachärzten gesehen.

derStandard.at: Sie haben viel mit Körperflüssigkeiten zu tun, befällt Sie manchmal Ekel?

Feichtinger: Natürlich ekelt man sich vor manchen Sachen. Aber das ist nicht anders als bei anderen (nicht-)medizinischen Berufen. Ich habe da schon Emotionen.

derStandard.at: Wie gehen Sie damit um, dass Sie immer mit schlechten Nachrichten und dem Tod zu tun haben?

Feichtinger: Zunächst bin ich nicht immer der Überbringer schlechter Nachrichten - es kommt ja auch vor, dass sich eine vermutet bösartige Erkrankung als gutartig herausstellt. Für den Fall einer schwerwiegenden Diagnose ist es für mich aber auch eine gewisse Entlastung, dass ich die Nachricht nicht unmittelbar dem Patienten mitteilen muss.

Manchmal kommen aber Patienten und lassen sich einen Befund erklären, das ist nicht immer angenehm. Diesen Situationen gehe ich aber nicht aus dem Weg, es ist schon Teil des Berufs in solch einer emotional schwierigen Situation jemandem seine Fragen zu beantworten.

Mit dem Tod konfrontiert zu sein, ist nicht angenehm. Aber andere KollegInnen sind mit dem Sterben konfrontiert und das ist mit Sicherheit um vieles schwieriger. Die Obduktion an sich sehe ich als einen umfassenden operativen Eingriff, der gerechtfertigt ist und die Medizin auch weiterbringt. Natürlich gewöhnt man sich auch daran. Mir geht es aber schon an die Nieren, wenn ein Todesfall einen konkreten Bezug bekommt, ich etwa merke, wie viel der Verstorbene den Angehörigen bedeutet hat oder es eine Assoziation zum eigenen Leben und zur eigenen Biografie gibt. (Marietta Türk, derStandard.at, 30.10.2009)