Er wolle keine Neiddebatte: Das beteuert Josef Pröll gerne, wenn lästige Linke höhere Steuern auf Vermögen fordern. Doch nicht immer gibt sich der Vizekanzler derart zimperlich. Die aktuelle Verteilungsdiskussion, die Pröll selbst angezettelt hat, ist mindestens so geeignet, Missgunst zu schüren, wie der Streit um die "Reichensteuer" . Der feine Unterschied: Sie läuft in eine Richtung, die dem ÖVP-Chef gefällt.

Pröll plädiert für ein Transferkonto, um Übersicht in das Sammelsurium an Sozialleistungen zu bringen, doch im Kern geht es ihm um etwas anderes. Leistung lohne sich nicht, beklagt der Finanzminister und erntet viel Applaus in den Medien. Munition bietet eine Studie des Grazer Joanneum-Instituts. Diese rechnet etwa vor, wie ein mies verdienendes Paar mit Kindern dank üppiger Beihilfen auf ein Einkommen kommt, das nur wenige hundert Euro unter jenem einer Mittelklassefamilie liegt, die zwar das Vierfache verdient, aber hohe Steuern zahlt und kaum Sozialtransfers erhält. Pikantes Detail am Rande: Den Löwenanteil des Füllhorns machen von der ÖVP geförderte Leistungen für Familien und Kinder aus.

"Wozu überhaupt noch arbeiten?" , fragt der Studienautor rhetorisch. Doch die bisher veröffentlichten Beispiele sind fragwürdig. Erfunden wurden extreme Fälle, die zu extremen Ergebnissen führen. Und abgesehen davon: Wo ist der Skandal, wenn der Staat einem jungen Paar, das trotz eines Praktikantenlohns von insgesamt 950 Euro den von der Politik geforderten Mut zu Kindern aufbringt, kräftig unter die Arme greift? Dass die beiden fiktiven Studenten deshalb jeden Karriereehrgeiz über Bord werfen, ist äußerst unwahrscheinlich. Erstens gibt sich nicht jeder mit einem Leben als Hilfskraft zufrieden. Zweitens versiegen viele Geldquellen, wenn die Kinder älter werden - mitunter schon nach dem ersten Lebensjahr.

Natürlich gibt es auch Tachinierer, die das soziale Netz einem permanenten Reißtest unterziehen. Die pauschale Behauptung aber, dass sich Arbeit hierzulande nicht auszahle und sogar bestraft werde, ist platter Alarmismus, der das Augenscheinliche ignoriert. Wenn, wie schon zu lesen war, tatsächlich ostblockartige Apathie überhand genommen hätte, würde sich Österreich wohl schwer im Kreis jener EU-Staaten mit dem größten Wohlstand und der niedrigsten Arbeitslosigkeit behaupten. Gut, die Zahl der Menschen ohne Job wächst derzeit rasant. Aber um diese von der Weltwirtschaftskrise provozierte Misere auf die allzu bequeme soziale Hängematte zu schieben, bedarf es schon einer ordentlichen Portion Zynismus.

Dennoch ist die Leistungsdebatte nicht per se unberechtigt. Was als generelle Diagnose zum Zustand des Sozialstaats Unsinn ist, kann in bestimmten Konstellationen schon zutreffen. Unintelligent gestaffelte Sozialleistungen können dazu führen, dass sich eine Gehaltserhöhung tatsächlich in realen Verlusten niederschlägt, weil eben Beihilfen wegfallen. Gerade Mütter verspüren oft wenig Anreiz zum Arbeiten - was auch an fehlenden Kinderbetreuungsplätzen liegt. Der immer noch hohe Eingangssteuersatz von 36,5 Prozent wiederum motiviert nicht gerade Niedrigverdiener, die bisher keine Lohnsteuer gezahlt haben. Ein gewisser Josef Pröll hätte als Finanzminister bei der letzten Reform da mehr tun können.

Sozialkürzungen wären gerade in der Krise die falsche Antwort, weil diese Angstsparen fördern, Kaufkraft und Wachstum hemmen. Und wenn Pröll schon von Leistungsgerechtigkeit spricht, sollte er auch jene Menschen nicht aus den Augen verlieren, die sich eines leistungslosen Einkommens erfreuen, aus dem sie kaum etwas für den Sozialstaat abliefern - indem sie von Erbschaften und anderen bestehenden Vermögen profitieren, für die sie keine oder niedrige Steuern zahlen. (Gerald John/DER STANDARD-Printausgabe, 22. Oktober 2009)