Zeitgeschichte im Autokino: Das Lorraine Motel in Memphis, wo Martin Luther King Jr. ermordet wurde.

Foto: Sascha Aumüller

Anreise & Unterkunft

Über Miami oder Dallas, weiterfliegen nach Memphis oder nach New Orleans, dann mit dem Mietwagen auf den Natchez Trace. Info: www.nps.gov/natr

Überall entlang der Strecke zu finden: Sehr günstige Motels der Ketten "Super 8" oder "Motel 6".

Grafik: DER STANDARD

Am Mississippi liegt die Isle of Capri und sie macht ein wenig Lärm. Recht keck klappert das alte Riverboat-Kasino mit seinem roten Schaufelrad, um die Wenigen am Ufer zu fragen: "Ja will denn wirklich niemand spielen?" Wie ein leeres Versprechen klingt es dann, wenn Mark Twain von einem "Sodom am Mississippi" schreibt und damit Natchez meint. Im einzigen Saloon am Hafen dieser Stadt kippen Langbärtige heute Limonade hinunter. Dabei wäre es doch noch immer ausdrücklich gestattet, sich hier mit mitgebrachtem Bourbon zu erfrischen.

Nach Natchez im Bundesstaat Mississippi kommt der Reisende aber ohnehin aus einem anderen Grund: Hier beginnt einer der seltsamsten Nationalparks der USA. Rund zehn Meter breit und 714 Kilometer ist er lang. Und ganz aus Asphalt. Die Amis haben also eine Straße zum Nationalpark erklärt. Immerhin ist es eine, die in unberührter Natur auf der gesamten Länge ohne Werbetafeln und Ampeln auskommt. Und auch eine, die besser als jeder Historienschmöker von den Südstaaten erzählt.

Bereits nach wenigen Kilometern plappert eine 200 Jahre alte Herberge die ganze Geschichte des Natchez Trace Parkway aus: Diese Nationalparkstraße folgt einem alten Indianerpfad bis nach Tennessee. Die Vorfahren der Choctaw und Chicasaw hatten hier vor 8000 Jahren eine Schneise in den Wald geschlagen, und erst im 18. Jahrhundert wurde der Pfad zur Handelsroute. Das blieb er bis zum Sezessionskrieg, aber wer sich dafür interessiert, muss den Trace auch schon wieder verlassen. Denn man sollte wissen, dass diese Straße nur wie ein roter, oder besser gesagt wie ein grüner Faden durch die Südstaaten führt. Sie durchquert wohl Wälder und Sümpfe, hält sich aber immer von größeren Orten fern. Und sie liefert ständig Querverweise, die oft nur wenige Kilometer neben diesem Erzählstrang aus Asphalt liegen: Vicksburg etwa.

In dieser Stadt gibt es den Bürgerkrieg als Nationalpark: Man folgt einer 26 Kilometer langen Straße quer durch jene Hügel hinterm Stadtzentrum, in denen 1864 die Südstaatenarmee endgültig besiegt wurde. Wie bei einem überdimensionierten Stratego-Spiel auf der grünen Wiese sind dort die Stellungen der Konföderierten und der Unionisten aufgebaut. Nun mag es martialisch klingen, den militärischen Erfolg von General Grant heute mit Automatikgetriebe abzufahren, aber erholungstechnisch und didaktisch ist das einwandfrei: Hier wurde in herrlicher Grünlage gekämpft, und die wissenschaftliche Qualität der fünfzehn Info-Stationen ist ein Traum. Nach Vicksburg interessiert die Südstaaten-Schüler nur mehr die Abfahrt Richtung Rock'n'Roll. Tupelo direkt am Natchez Trace ist der Geburtsort des King. Unprätentiös baumeln seine Verehrer heute in der Schaukel vor jener 30 Quadratmeter großen Holzhütte, für die der Vater von Elvis Presley in den 1930er-Jahren noch 180 Dollar Schulden aufnahm. Das Angenehme an einer Ehrerbietung in Tupelo: Elvis lebt irgendwie. Oder zumindest dieser Ort, da vor seinem Geburtshaus die Nachbarskinder Ball spielen. Da wirkt es nicht einmal anbiedernd, im Tupelo Hardware Store, wo Elvis seine erste Gitarre kaufte, nach einem stinknormalen Plektron als Souvenir zu fragen. Dieser Greißler wirkt so intakt wie vor 70 Jahren, neben billigen Gitarrenmodellen verscherbelt er Schrauben für den Traktor.

Tupelo verlangt dann aber eine Grundsatzentscheidung: Weiter dem Natchez Trace folgen und damit Nashville als Hauptstadt der Countrymusik erreichen oder abbiegen in die Metropole des Blues. Memphis zu wählen, bedeutet jedenfalls auch, im großen Südstaaten-Kompendium ein Kapitel nicht auszulassen: die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner. Das Lorraine Motel, vor dessen Zimmer 306 Martin Luther King Jr. ermordet wurde, sieht von außen noch genauso aus wie am 4. April 1968. In seinem Inneren allerdings wird man heute durch einen Linienbus mit getrennten Sitzplätzen für Weiße und Schwarze geführt und noch viel weiter durch die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung. Wer dann noch mit Jacqueline Smith plaudert, die am heutigen Tag seit 21 Jahren und 298 Tagen vor dem Motel-Eingang sitzt und gegen eine solche Form der Inszenierung protestiert, hat dieses Südstaaten-Kapitel sehr differenziert aufgeblättert.

Und der andere King hat hier in Memphis sein Graceland, vor dem die Reisebusse nicht weniger werden. Aber das ist eine eigene Geschichte. (Sascha Aumüller/DER STANDARD/Rondo/23.10.2009)