Ortstafeln, so entschied das Höchstgericht, dürfen keine zusätzlichen Mitteilungen enthalten. Die Prämien für Blumenschmuck und die Anzahl im Straßenverkehr getöteter Personen gehören nicht an diese Stelle. Es klingt nach Lappalie, aber das Thema ist profund. Ein Schild steht in der Landschaft und wirft die Frage auf, mit welchem Recht es diese Position einnimmt und welches Recht es verkündet. Offenbar liegt die Einteilung in Verwaltungseinheiten auf einem anderen Niveau, als Initiativen zur Verschönerung des Ortsbilds.
Die Medienlandschaft ist zweifellos komplexer, doch die Fragen greifen auch hier. Für welches Recht stehen ihre Signale? Eine verwirrende Fülle von ihnen füllt das Wahrnehmungsfeld. Gewöhnlich sortieren wir nach einigen bewährten Kriterien: Nachrichten, Unterhaltung, Sport. Das funktioniert solange, bis ein Rechtsstreit ausbricht. Sind Todeskandidaten geeignete Werbeträger für Bekleidung? Krieg ist ein klassischer Verwirrungsfaktor. Woher nimmt die von Zeitungen, Radio und TV im Kriegsfall produzierte Informationsflut ihr Recht?
Zwei vorläufige Antworten sind weitgehend akzeptiert. Erstens geht es nicht um Wahrheit und zweitens gibt es keine generelle Lösung. Das Publikum ist skeptisch. Kaum jemand glaubt einen Bericht, bloß weil er im Fernsehen zu hören war. Die Medien signalisieren mit den entsprechenden Formulierungen selber, dass sie für ihre Produkte nur beschränkte Haftung übernehmen. Die Wahrheit hat sich, als Rechtsgrund für Berichterstattung, in eine hintere Reihe zurückgezogen. Aber das heißt nicht, daß Rechtlosigkeit ausgebrochen ist. Die Informationsflut spült Material mit unterschiedlicher Berechtigung ins Wohnzimmer.
Vier Kategorien sind jedenfalls zu nennen. Naturgemäß sind sie allgemein bekannt, aber sie verschwimmen leicht. Ein Beitrag für Vernunft und gegen Irrsinn ist der Versuch, sie getrennt zu halten.
Eine urtümliche Kategorie ist die Rede an die Nation. (Früher war das die Aufgabe des Stammesfürsten.) Sie bezieht ihre Legitimation aus der politischen Verfassung und Konflikten auf der Makro-Ebene der Staatenwelt. Die Massenmedien sind in diesem Fall hauptsächlich Relaisstationen. Sie senden Ultimaten, Kriegserklärungen und Durchhalteparolen. Ihre Wahrheit besteht in den Armeen, die solche Sprechakte umsetzen.
Die zweite Kategorie ist eine Form, diese Eindimensionalität medial aufzufächern. Ihre Leitfigur ist nicht der Politiker, sondern die Moderatorin. In westlichen Gesellschaften sind staatspolitische Entscheidungen in die Nähe des Werbefernsehens gerückt, nur sind sie bei Weitem nicht so unterhaltsam. Darum müssen die Sendeanstalten eine Nachrichtenshow inszenieren, die sich um eine Präsentatorin als Drehscheibe der Meinungsvielfalt organisiert. Die Öffentlichkeit, die den Politikern nicht über den Weg traut, holt sich auf diese Weise ein Stück Glaubwürdigkeit zurück. Pluralität ist entlastend, wenn man ratlos ist.
Die Legitimationsmechanismen der Nachrichtenmoderation sind zahlreich und subtil. Als ob es selbstverständlich wäre, schlüpft die Moderatorin in die Rolle des Alltagsverstandes und stellt Fragen, welche "die Menschen" bewegen, an berufene Gesprächspartner. Diese Personen wechseln, verschwinden vom Bildschirm oder sitzen seitlich vom Hauptzugriff der Kamera. Den Anfang und das Ende macht der Showmaster. Die Inszenierung versucht, den Prozess wiederzugeben, in dem ein Mensch, der strebend sich bemüht, der Wahrheit näher kommt. Die Lage ändert sich tagtäglich, und regelmäßig gibt es auch das kathartische Ritual der Mehrstimmigkeit unter der Leitung der Nachrichtenredaktion. Dieses Ritual ist Chance und Behinderung, das ist sein Beitrag zur Informationsflut.
Drittens ein Faktor, mit dem in der Moderation gespielt wird, die Reportage. In ihr ist die Wahrhaftigkeit ein wesentlicher Punkt. Eine Korrespondentin kann sich vor die Kamera stellen und von Gerüchten sprechen, aber sie kann nicht gerüchteweise am Ort des Geschehens sein. Dieses Umschalten ist bedenkenswert. Im Bericht aus Washington wird das Ergebnis der letzten Pressekonferenz mitgeteilt. Das entspricht ziemlich sicher der Wahrheit --nämlich der Bericht. Mit den berichteten Aussagen ist das eine andere Sache. Die Wahrnehmung kippt leicht zwischen der Authentizität der Übermittlung und der Glaubhaftigkeit der Botschaft selbst.
Zuletzt eine Kategorie, die das Arrangement durcheinanderbringt, das Kampfbild. Nicht so sehr Bilder von Kämpfen, sondern das Bild als Kampf. Ähnlich der Kriegserklärung ist es eine Intervention, allerdings nicht auf politischer Ebene, sondern im Verbund der Massenmedien. Es reißt Löcher in das regulär zusammengefügte Konstrukt des Media-Mix. Anders als "jüngsten Meldungen zufolge" trägt es seine Bestätigung bei sich: Angst, Vernichtung, Befreiung. Oder nicht? Fällt auch und speziell das Kampfbild unter Ideologieverdacht? Wie dem auch sei, gerade seine Durchschlagskraft, mit der die Manipulation einhergeht, charakterisiert es als eigene Kategorie.
Die Autofahrerin nähert sich einer Landgemeinde und unterscheidet zahlreiche Mitteilungen. Kilometerangaben, Wahlwerbung, Gottesdienste, Ortsnamen. Sie lässt den Fernseher laufen und findet ähnliche Verhältnisse vor. Nur sind im Krieg die Hintergründe nicht so berechenbar. Es ist eher, als ob ein Boulevardblatt als Sponsor aufträte und eindrucksvolle Tafeln für Ortschaften spendiert. Krieg ist nicht nur tödlich, er ist auch ein kognitiver Stress. (DER STANDARD, Printausgabe/Album, 29./30.3.2003)