Laut dem Nachrichtenmagazin Spiegel neigen sich die Verhandlungen in Berlin ihrem Ende zu. Bevor die Regierung endgültig Gestalt annehme, seie noch mehrere Streitpunkte zu klären: Im Mittelpunkt stehe unverändert offen der Umfang und die Zusammensetzung der geplanten Steuerentlastungen. Der Spiegel stützt sich auf Informanten aus Verhandlungskreisen und schlussfolgert, dass es "zu früh" sei, um "schon von einer Einigung zu sprechen". "Wir gehen natürlich davon aus, dass sich alle Punkte klären lassen. Die Verhandlungen standen nie auf der Kippe. Doch es kann noch eine lange Nacht werden", sagte ein Unterhändler dem Wochenblatt.
Zuvor hatte die Deutsche Presse-Agentur dpa gemeldet, dass die Spitzen von Union (CDU/CSU) und FDP nach Angaben aus Verhandlungskreisen bei der Bildung der neuen deutschen Regierungskoalition alle inhaltlichen Fragen grundsätzlich geklärt hätten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Guido Westerwelle und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hätten in der Nacht auf Freitag eine entsprechende Einigung erzielt.
Koalitionsvertrag wird am Montag unterzeichnet
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP soll am Montagabend unterzeichnet werden. Das teilten Unionskreise (CDU/CSU) am Freitagnachmittag in Berlin mit. Die Zeremonie ist in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund angesetzt, wo auch die Koalitionsverhandlungen stattfanden.
Damit bleibt die Koalition in dem anfangs gesetzten Zeitplan. Unmittelbar vor der Konstituierung des am 27. September gewählten neuen Bundestages am Dienstag machen die Spitzen der neuen Koalition das Bündnis perfekt. Die zuständigen Parteien werden bis dahin auch ihr Ja-Wort zu dem schwarz-gelben Wunschbündnis gegeben haben.
Nach der Konstituierung des Bundestages am letzten Tag der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Frist werden dann am Mittwoch die Kanzlerin und ihre Minister vom Bundespräsidenten ernannt und vor dem Parlament vereidigt.
Streitpunkte
Für die Steuerentlastungen lägen mehrere Rechenmodelle auf dem Tisch. Das Mindestvolumen der Entlastung dürften die von der Union zuletzt veranschlagten 20 Milliarden Euro sein. Allerdings könne das Entlastungsvolumen noch etwas höher liegen. Davon hänge auch ab, in welchem Umfang und ab wann Familien mit höheren Kinderfreibeträgen und mehr Kindergeld entlastet werden.
Strittig geblieben sind Verhandlungskreisen zufolge auch die Zukunft der Wehrpflicht, die CSU-Forderungen nach kostenloser Schulmilch und einem Betreuungsgeld für zu Hause betreute Kleinkinder und FDP-Anliegen in der Arbeitsmarktpolitik, hieß es. Bei der Union gebe es aber bei Kündigungsschutz und Mitbestimmung keine Zugeständnisse an die FDP, ebenso wenig bei der Forderung der Liberalen nach einem einheitlichen Bürgergeld für staatliche Sozialleistungen.
Massive Bedenken gibt es in der Union gegen die von Fachpolitikern beider Seiten angedachte Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf sechs Monate. "Das wäre der Anfang vom Ende der Wehrpflicht", verlautete aus der Union. Außerdem könne bei noch kürzerer Wehrpflicht der Zivildienst kaum bei zwölf Monaten bleiben, so dass auf die Sozialdienste erhebliche personelle Probleme zukommen könnten. Die FDP fordert die Abschaffung der Wehrpflicht, wäre aber wohl mit einer Verkürzung als Kompromiss einverstanden.
Einigung bei Kindergeld
Union und FDP haben sich bei ihren Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen deutschen Regierung nach CSU-Angaben in der Arbeitsgruppe Familie auf eine Erhöhung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes geeinigt. Die künftige Koalition will das Kindergeld in Deutschland auf 200 Euro erhöhen. "Das wurde einstimmig beschlossen", sagte CSU-Politiker Norbert Geis am Freitag im Deutschlandfunk. Geis, der Mitglied der Koalitions-Arbeitsgruppe für Familienpolitik ist, sagte weiter, auch der Kinderfreibetrag werde angehoben, und zwar auf 8.001 Euro. Geis machte keine näheren Angaben zu den Details der Kindergeld-Erhöhung. Zurzeit bekommen Eltern fürs erste und zweite Kind 164 Euro, fürs zweite 170 Euro und fürs vierte, sowie jedes weitere Kind 195 Euro.
Einigung bei Gesundheitspolitik
Bereits in der Nacht auf Freitag hatten die künftigen Koalitionspartner einen großen Brocken auf dem Weg für ihre angestrebte Regierungszusammenarbeit aus dem Weg geräumt. Wie CSU-Chef Horst Seehofer Donnerstag Nacht in Berlin mitteilte, einigten sich CDU, CSU und FDP beim Streitthema Gesundheitspolitik. Die Einigung sei bei Gesprächen in kleiner Runde in Berlin erzielt worden. Details wollten die Verhandlungsführer, Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Philipp Rösler (FDP), um 11.00 Uhr in einer Pressekonferenz präsentieren.
Finanzloch der Kassen stopfen
Der Gesundheitsbereich zählte in den vergangenen drei Wochen zu den schwierigsten Themenfeldern in den Koalitionsverhandlungen. Es ging es darum, wie das prognostizierte Finanzloch der Krankenkassen von 7,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr gestopft werden kann und um die Zukunft des von der FDP kritisierten Gesundheitsfonds. Strittig war, ob die Zusatzbeiträge, die die Krankenkassen bei Bedarf erheben dürfen, von bisher einem Prozentpunkt auf zwei erhöht werden sollen. Die FDP pochte zudem darauf, das der Gesundheitsfonds in den kommenden vier Jahren in ein neues Finanzierungsmodell überführt werden soll. Die Union wollte es dagegen bei Ergänzungen des erst seit diesem Jahr existierenden Fonds belassen.
Besprechungen in der Nacht
Seehofer deutete an, dass der Koalitionsvertrag weitestgehend unter Dach und Fach sei. Im Laufe des Tages müsse alles noch einmal "sorgfältig durchgeschaut" werden. Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) sagte, man sei "sehr erfolgreich" gewesen. Allerdings müsse auch am Freitag weiterverhandelt werden. In der Nacht setzten sich die drei Parteivorsitzenden, Angela Merkel (CDU), Seehofer und Guido Westerwelle (FDP), erneut in kleiner Runde zusammen, wohl um über Personalien zu sprechen.
Union und FDP wollten am Freitag um 14.00 Uhr ihre Verhandlungen in großer Runde fortsetzen. Dabei soll es erneut um die strittigen Themen Steuern und Finanzen gehen. Die schwarz-gelben Verhandlungen sollen bis Samstag abgeschlossen sein; dann soll der Planung zufolge auch die Ressortverteilung samt Ministerriege stehen.
Mehr Investitionen in Bildung
Eine Einigung gab es auch bei Bildung und Forschung. Hier sollen jährlich drei Milliarden Euro mehr investiert werden, um das vor zwölf Monaten zwischen Bund und Ländern verabredete Ziel zu erreichen, zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für diesen Sektor auszugeben. Auch eine Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf sechs Monate mit Anfang 2011 wurde beschlossen.
Nach heftiger Kritik verzichtete die neue Koalition jedoch zumindest für dieses Jahr auf ihr umstrittenes "Schattenbudget". Die krisenbedingten Milliarden-Lücken bei Arbeits- und Krankenversicherung - etwa 20 Milliarden Euro - sollen nun 2010 mit Steuermitteln geschlossen werden. Damit wird aber auch der Spielraum für die versprochenen Steuersenkungen kleiner. (red/APA/Reuters/AP)