Das 20. Jahrhundert hört nicht auf, uns heimzusuchen. Zu viele Fragen sind offen, als dass es uns in Ruhe ließe. Wie gehen Menschen damit um, dass ihnen vor 20, vor 40 oder vor 60 Jahren Unmenschliches angetan wurde? Wie damit, dass sie selbst Unmenschliches getan haben? Wie werden Kriegsverbrechen, Internierungs-, Konzentrations- und Vernichtungslager erinnert? Und was bleibt von Abermillionen toten Soldaten?
Die denkbar makaberste Antwort lautet: Kochrezepte. Cooking History von Peter Kerekes ist eine Tour de Force durch die Kriege des 20. Jahrhunderts, garniert mit zehn Kochrezepten - unter anderem für Blini, Coq au vin und Schaschlik. Der Film verbindet die einzelnen Kriegsschauplätze, indem er sich auf die Feldküchen konzentriert: Was essen Soldaten, und wer kocht für sie? Dabei bringt der slowakische Regisseur die Protagonisten jeweils in Situationen, die ihre Kriegserfahrung rekonstruieren: Ein Deutscher steht in einem Maisfeld und erinnert sich daran, wie er sich im Zweiten Weltkrieg in einem anderen Maisfeld vor einem sowjetischen Panzer versteckte, wie er fürchtete, als Hackfleisch zwischen Panzerketten zu enden. Kerekes lässt derweil einen Panzer durchs satte Grün rollen, im nächsten Bild steht eine einstige Sowjet-Feldköchin in einer russischen Küche und schiebt Fleisch in den Fleischwolf, im Close-up quillt rot-weiße Masse aus dem Apparat.
Kerekes hat ein Herz für solche plakativen Reenactments. Sein Film ist frivol. Man wird Cooking History wenig abgewinnen, solange man damit hadert, dass sich ein Dokumentarfilm die Taktlosigkeiten einer schwarzen Komödie gestattet. In all den arglos zur Schau gestellten Derbheiten steckt freilich auch die kluge Frage, wie die Protagonisten des Films heute über ihren Beitrag zum Kriegsgeschehen denken. Manche scheinen sich vom nationalistischen Furor nicht lösen zu wollen, andere legen erstaunliche Distanz gegenüber ihrem früheren Selbst an den Tag und können sich ihre Schuld eingestehen. Bei wieder anderen hat man den Eindruck, sie hätten immer schon eine wohltuend Schwejk'sche Natur besessen.
In der Vielfalt der Reaktions-, Denk- und Handlungsmöglichkeiten liegt eine Freiheit, die man angesichts der groben Mechanik von Cooking History nicht erwartet hätte.(Cristina Nord, DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2009)