Bild nicht mehr verfügbar.

Len Kleinrock vor einem
Paketvermittlungsknoten (IMP-Router), der bei der Entwicklung des Internets eine wichtige Rolle spielte.

Foto: AP/Sayles

Bild nicht mehr verfügbar.

Kaum eine Technologie hat das Leben der Menschen so sehr beeinflusst wie das Internet, das vor 40 Jahren seine ersten Worte "sprach".

Foto: Reuters

Leonard Kleinrock gilt als der Gründervater des Internets. Wie er vor 40 Jahren die erste Nachricht im Cyberspace an Computermaus-Erfinder Douglas Engelbart übermittelte, erzählte er Beatrice Uerlings. 

Die erste "paketübermittelte Datenübertragung"


Schon als kleiner Bub bastelte Leonard Kleinrock Rundfunkempfänger, die die weite Welt in seines kleines Wohnzimmer brachten. Aus dieser Faszination entstand der größte akademische Augenblick des späteren Uni-Professors: Am 29. Oktober 1969 gelang Kleinrock mithilfe eines kühlschrankgroßen IMP-Routers die erste "paketübermittelte Datenübertragung", auf der das Internet beruht.


Standard: Herr Kleinrock, wie hat alles angefangen?

Kleinrock: Es war 10.30 Uhr abends, und ich war ganz alleine mit meinem Programmierer. Es gibt keine Bilder, keine Tonaufnahmen, nur ein handgeschriebenes Logbuch hier, worin wir den historischen Moment festgehalten haben. Wir waren telefonisch mit einem Kollegen vom Stanford Research Institute verbunden (Douglas Engelbart, Anm.), und jedes Mal, wenn ich einen Buchstaben an ihn losschickte, fragte ich ihn, ob was angekommen sei. Eigentlich wollte ich ihm das Wort "log" zukommen lassen. Das L funktionierte reibungslos, das O auch, aber dann - bums! - ein Computercrash. Die erste Nachricht, die je per Internet versendet wurde, lautet somit "LO", so wie in "Lo and behold". Das ist eine amerikanische Redensart, die bedeutet: "Siehe an, wer hätte das gedacht!" Klingt im Nachhinein prophetischer als beabsichtigt.

Standard: Kaum eine Technologie hat unser Leben so sehr beeinflusst wie Internet. Haben Sie das alles von Anfang an kommen sehen?

Kleinrock: Was ich sicher nicht erwartet hätte, ist, dass selbst meine 99-jährige Mutter noch angefangen hat, E-Mails zu schreiben. Ich habe die soziale Komponente unterschätzt, die Tatsache, dass sich Gemeinschaften bilden würden und Menschen zusammenkommen, die sich nie persönlich getroffen haben. Sei es durch Youtube, Facebook oder Peer to peer: Im Cyberspace gibt es heute keine geografischen Distanzen mehr, keine Klassen, keine Rassen. Insofern ist das Internet schon ein sehr demokratisches Instrument.

Standard: Bei sozialen Netzwerken offenbaren sich aber auch die dunklen Seiten der virtuellen Parallelwelt: Kinderpornografie, Identitätsdiebstahl, Hasspropaganda.

Kleinrock: Es ist ja so, dass die Leute ihre Privatsphäre meist willentlich aufgeben. Sie stellen Angaben zu ihrer Person ins Netz, sie kaufen dort ein und wissen oft gar nicht, wer alles Zugriff auf diese Daten hat. Diesen Trend haben wir eindeutig unterschätzt. Im Arpanet (Vorläufer des Internets, Anm.) kannten sich ja alle, wir hatten Vertrauen zueinander. Ich bereue es manchmal, dass wir nicht von Anfang an mehr Sicherheitssysteme eingebaut haben, um Missbräuchen vorzubeugen. Das wäre durchaus möglich gewesen, aber jetzt ist es zu spät.

Standard: Wie erklärt es sich, dass das Internet erst Mitte der 90er-Jahre zum Massenphänomen wurde? Hat das damit zu tun, dass es eigentlich als Projekt des US-Verteidigungsministeriums anfing?

Kleinrock: Das ist ein Mythos. Das Pentagon hatte nie vor, das Internet für militärische Zwecke zu nutzen. Sie wollten schlicht ein Imageprodukt. Nach der erfolgreichen Sputnik-Mission der Sowjets beschloss Präsident Eisenhower, dass die USA auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technologie nie wieder zweite Geige spielen würden. Deshalb investierte er Unsummen in akademische Forschungsprojekte wie meines. Groß geworden ist das Netz durch ganz andere Faktoren. Durch die National Science Foundation zum Beispiel, die ihre Supercomputerzentren Ende der 80er-Jahre miteinander vernetzte. Dadurch hatten plötzlich zahllose Wissenschafter und Firmen Zugang zum Cyberspace.

Standard: Wie stark kann das Internet noch wachsen, wie sieht das Netz der Zukunft aus?

Kleinrock: Wir stehen erst ganz am Anfang. Es wird sogenannte "smart spaces" geben, die den Cyberspace in unsere physische Umgebung integrieren, der Cyberspace wird immer und überall mit uns sein. Die meisten Leute denken immer noch, dass die virtuelle Welt sich hinter den Bildschirmen ihres Computers befindet. Tatsächlich arbeiten wir aber schon daran, sie aus diesem Käfig zu befreien. Eines Tages wird es möglich sein, in einen Raum zu kommen und ins Leere hinein zu fragen: Wo ist die und die Person? Wo finde ich einen Drucker? Die Netzwelt wird dank Mikrosystemen und Nanotechnologie komplett mit uns verbunden sein, in Form winziger Sensoren, Kameras oder Implantate.

Standard: Kann der Mensch so eine Überlastung der Sinne überhaupt aushalten?

Kleinrock: Menschen reagieren erfahrungsgemäß zögerlich auf Neuerungen. Zudem bauen wir uns bewusst selber Grenzen auf. Keiner kennt alle Funktionen seines Handys oder von Microsoft Word, wir benutzen nur die Anwendungen, die wir brauchen. Um den Auswahlprozess brauchen wir uns vielleicht bald nicht mehr zu kümmern, denn eine weitere Zukunftsvision des Internets ist, dass es auf dich ganz persönlich zugeschnittene "intelligent agents" geben wird, die dir jederzeit mit Informationen oder Hilfeleistungen zur Seite stehen. Wenn du vor einem Konzertgebäude stehst, dann sagt dir dein Agent, welches Konzert gerade gespielt wird. Wenn du frierst, wird er die Heizung anschalten. Intelligent Agents sind wie Roboter, die immer und überall zu Diensten sind, aber sie sind, wie Internet: unsichtbar.

ZUR PERSON:

Leonard Kleinrock, Jahrgang 1934, ist Professor für Computerwissenschaften an der UCLA-Universität in Los Angeles. Seine Arbeiten lieferten wesentliche Beiträge zu Computernetzwerken.(DER STANDARD, Printausgabe vom 28.10.2009)