Standard: Die rund 100 Jahre alten Pensionssysteme in Europa werden Berechnungen zufolge in absehbarer Zeit kollabieren, weil wir immer älter werden und immer weniger Junge nachkommen. Warum sehen Sie das Verharren in diesen Systemen gegenwärtig schon als so katastrophal?
Góra: Die staatlichen Zuschüsse hemmen das Wachstum in Europa. Sind sie höher als das Wachstum der Wirtschaftsleistung, dann bringen sie das Bruttoinlandsprodukt zum Schrumpfen. (In Österreich betrugen die Zuschüsse 2002 rund 5,7 Milliarden Euro, etwa 2,6 Prozent des BIP, Anmerkung der Redaktion)

STANDARD: Das Bemerkenswerte am polnischen Weg ist ja, dass der Leidensdruck aufgrund der Bevölkerungsstruktur gar nicht so groß war, wie er sich in Österreich ankündigt. Sie haben "ex ante" gehandelt?
Góra: Ja, zuwarten heißt nur, auf das Desaster zu warten. Jedes Zuwarten bis zu einem Kollaps heißt, dass im alten System schmerzhafte Kürzungen kommen. Das wollten wir vermeiden. So hat niemand das Gefühl, etwas zu verlieren.

STANDARD: Experten loben, dass ihr nun individuell beitragsorientiertes System alle gleich mache. Für Frauen, die sich für das Kinderkriegen entscheiden, stimmt das aber nicht. Die Überbrückungszahlungen sind sehr gering.
Góra: Wenn es einen politischen Willen gibt, können diese angehoben werden. Wir haben ein Basissystem geschaffen. Reformbedürftig ist auch noch der Agrarbereich, den wir leider nicht integrieren konnten.

STANDARD: Berichten zufolge sind die Polen zufrieden mit den neuen System. Gibt es gar keine Pannen?
Góra: Doch, in der Abwicklung. Der Transfer auf die individuellen Konten dauert zu lange, die gewünschte schnelle Transparenz funktioniert noch nicht. Das ist ein Computerproblem, das System wurde programmiert, bevor wir die Reform gemacht haben.

STANDARD: Wo sehen Sie die größten Denkfehler in jenen Ländern, die mit einer Sanierung ihres Pensionssystems zuwarten?
Góra: In der Verwechslung der Ziele mit den Methoden. Die sozialen Ziele sind die alten, sie sind öffentlich. Nur die Methoden sind neue, teilweise so genannte private.