"Die Angstzustände habe ich, seit ich sechs Jahre alt bin." - In seinem neuen Film "Antichrist" stellt sich Lars von Trier auch seinen privaten Obsessionen und lässt ein Ehepaar im deutschen Märchenwald über seine Schmerzgrenzen hinausgehen.

Foto: Viennale

Standard: Sie haben mit Heidi Laura zusammengearbeitet, einer Misogynie-Beraterin. Was war deren Aufgabe?

Von Trier: Mir beizubringen, wie ich noch böser zu Frauen sein kann. Nein, nein, ich brauchte einfach einige Zitate und Bilder. Sie unternahm eine Riesen-Recherche, aber ich brauchte nur ein paar Sätze für die weibliche Hauptfigur - Sätze wie: "A crying woman is a scheming woman."

Standard: In einer britischen Zeitung hat Heidi Laura geschrieben, die westliche Zivilisation stecke voller Misogynie - von Aristoteles bis Otto Weininger und darüber hinaus. Besonders verbreitet sei die These, Frauen seien stärker mit der Natur verbunden als Männer.

Von Trier: Ja, daran glaube ich auch. Das ist vermutlich ein weit verbreitetes Missverständnis, dass ein Geschlecht näher an der Natur dran sei als das andere, trotzdem habe ich eine romantische Vorstellung davon. Eine Menge Zitate, die Heidi Laura fand, hatten damit zu tun. Unter anderem, weil Frauen menstruieren, das wurde als unrein erachtet. Ich erinnere mich, dass ich Björk ein Angebot machte, nachdem wir bei Dancer in the Dark schon viel gestritten hatten. Ich gab ihr einen Kalender mit markierten Tagen und sagte, wir sollten an den nicht markierten arbeiten. Sie fragte, warum; ich antwortete: "An den markierten hast du deine Periode."

Standard: Sie wussten, wann Björk ihre Periode hatte?

Von Trier: Ja, weil sie denselben Zyklus wie meine Frau hatte. Deshalb wusste ich, wann es soweit sein würde. Das war natürlich sehr provozierend, aber ich hatte zu dem Zeitpunkt den Film ohnehin schon fast aufgegeben. Okay, was kann ich noch über mein Verhältnis zu Frauen sagen? So wie ich Männer in meinen Filmen darstelle, sind sie immer dumm, oder nicht? Und die Frauen leiden immer.

Standard: Ihre Filme zehren stark von der Vorstellung, dass Frauen anders sind als Männer.

Von Trier: Ja, davon bin ich ziemlich überzeugt. Wobei - vielleicht erscheinen mir Frauen nur deshalb anders, weil ich anders mit ihnen kommuniziere. Ich weiß nicht recht. Meine Mutter war sehr dominant, als ich ein Kind war. Und wenn ich mich zurückerinnere, dann denke ich lieber an meinen passiven Vater als an meine dominante Mutter, ihm fühle ich mich verbundener, weil ich dasselbe Geschlecht habe und weil auch er der Kontrolle meiner Mutter unterworfen war. Auf der anderen Seite verstehe ich mich, von Björk abgesehen, sehr gut mit Schauspielerinnen.

Standard: Wie war es denn, mit Charlotte Gainsbourg zusammenzuarbeiten?

Von Trier: Sehr gut. Während des Drehs ging es mir seelisch sehr schlecht. Sie kam auf mich zu und sagte: "Ich will diese Rolle unbedingt." Das war unglaublich. Sie denkt, ich hätte fantastisch Regie geführt, aber so war es nicht, ich war gar nicht wirklich da.

Standard: Was meinen Sie damit?

Von Trier: Ich hatte eine Depression, und ich versuchte, mich mithilfe der Arbeit aus der Depression herauszuwinden. Es war schon schwierig für mich, überhaupt nur körperlich am Set anwesend zu sein. Ich hatte Angstzustände, trank zu viel, alles versank irgendwie im Dunst. Normalerweise führe ich die Kamera selbst, aber meine Hände zitterten zu stark.

Standard: Die Figur von Gainsbourg ist tatsächlich stark mit der Natur verbunden, die von Willem Dafoe dagegen stark mit der Vernunft. War es für Gainsbourg okay, dass ihre Figur so angelegt war?

Von Trier: Sie las das Drehbuch, als wär's die Bibel. Wir haben viel über das Buch geredet, auch weil ich nicht wollte, dass wir plötzlich bestimmte Sachen diskutieren müssten, die Masturbationsszenen zum Beispiel. Sie hat nie etwas in Frage gestellt. Sie ist extrem. Als Privatperson ist sie schüchtern, es kann passieren, dass sie ein ganzes Abendessen über kein einziges Wort sagt.

Standard: Es gibt in "Antichrist" drei Szenen, die weit über das hinausgehen, was man normalerweise im Kino sieht: die kurze Hardcore-Einstellung im Prolog, dann ihre Selbstverstümmelung und den erigierten Penis, der Blut ejakuliert. Warum war das für Sie wichtig?

Von Trier: Weil es eine Art Betrug gewesen wäre, diese Dinge nicht zu zeigen. Das mag provozierend sein, ist aber nicht so gedacht. Ich wollte keine Einstellung haben, wo man sieht, dass sie sich an ihrem Unterleib anfasst, das Ganze aber unterhalb des Bildrandes stattfindet. Wenn man Genres mischt und einiges aus dem Pornofilm, anderes aus dem Horrorfilm nimmt, ist das natürlich schockierend. Andererseits erwartet niemand von mir - und ich schon gar nicht -, dass ich einen sauberen Genrefilm drehe. Da gibt es immer einen speziellen Dreh, eine Verschiebung.

Standard: Was ich an "Antichrist" schwierig finde, ist, dass es manchmal so wirkt, als nähmen Sie alles sehr ernst, und dann scheinen Sie sich über diesen Ernst lustig zu machen. Sie erkunden, wie der Schmerz der weiblichen Figur aussieht, und plötzlich lassen Sie einen Fuchs "Chaos herrscht" zischen.

Von Trier: Vielleicht, aber ich sehe es anders. Der dumme Fuchs und die anderen Tiere begegneten mir während meiner schamanischen Reisen. Wissen Sie, was das ist?

Standard: Nein, nicht genau.

Von Trier: Man macht eine imaginäre Reise und kann dabei mit Tieren sprechen. Das geht darauf zurück, dass es in primitiven Stämmen einen Mann gab, der in die Parallelwelt übertreten konnte, dort Dinge sah und damit zurückkehrte. Die Technik, die verwendet wird, um in Trance zu geraten, ist ein bestimmter Trommelschlag. Der ist übrigens für alle Zivilisationen derselbe. Ich habe im Film wiederholt, was ich bei diesen Reisen sah. Es ist also nicht lustig, sondern ganz ernst für mich. Aber dann ist es doch auch lustig, weil Humor eines meiner Werkzeuge ist. Wenn am Ende all die Frauen den Berg hochgehen und der Held alleine dort steht, dann ist das irgendwie auch ein Witz. Und zugleich kein Witz. Der Fuchs war vielleicht ein Fehler, aber er wollte einfach seinen Text bekommen.

Standard: Ich weiß nicht, ob er ein Fehler ist, er ist nur...

Von Trier: ...verwirrend, ja. Das verstehe ich. Aber ich will gar nicht absichtlich verwirren. Vielleicht ein bisschen absichtlich, okay.

Standard: Sie wagen sich weit vor mit Bildern, die in den Köpfen der Figuren existieren. Sie wagen sich aber auch weit vor, indem Sie viel über sich selbst und Ihre Familie sprechen. Haben Sie niemals Angst, zu viel von sich preiszugeben?

Von Trier: Ich weiß nicht, ob ich zu viel riskiere. Die Angstzustände habe ich, seit ich sechs Jahre alt bin. Es ist unmöglich, das zu verbergen. Ich habe eine Theorie. Wenn man ein schöpferischer Mensch ist und gut sein will, muss man man selbst sein. Man kann nicht sein ganzes Leben etwas vortäuschen. Für mich ist es leichter, über meine Angstzustände zu reden. Ich mache das also nicht, weil ich tapfer wäre, sondern weil ich es nicht besser kann. Außerdem wären Gespräche wie dieses noch viel dümmer, wenn es nicht wahr wäre, was ich sagte.

Standard: Ich fand es nicht dumm.

Von Trier: Ich auch nicht. Ich bin nur neugierig, ob Sie schreiben, dass ich Frauen hasse.

Standard: Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie Frauen hassen, ich habe nur den Eindruck, dass Sie ganz anders über Frauen denken, als ich das tue.

Von Trier: Wenn Leute sagen, ich würde Frauen hassen, erscheint mir das sehr weit hergeholt. Warum sollte ich zehn Filme mit weiblichen Hauptfiguren machen? Wenn man keine Elefanten mag, macht man doch nicht zehn Filme mit Elefanten, oder?

(Christina Nord, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 29.10.2009)

Zur Person:
Lars von Trier (53) ist einer der profiliertesten Regisseure der Gegenwart, dem es mit beinahe jedem Film gelingt, sein Publikum zu spalten. Er besuchte die dänische Filmhochschule und wurde bereits für sein Debüt "Element of Crime" ausgezeichnet. Große Beachtung fanden seine Frauendramen "Breaking the Waves" , "Dancer in the Dark" und "Dogville" - letzteres war ein Film der Dogma95-Bewegung, die von Trier mitinitiiert hat.