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Die Heimbibliothek, die sich in die Tasche stecken lässt: etwa 1500 Bücher auf Amazons Lesegerät Kindle. Das Vor- und Zurückblättern zwischen den Seiten erfolgt über Tasten an beiden Seiten.

Foto: AP/Lennihan

Zwei Tage nach der Online-Bestellung war der Kindle, Amazons Lesegerät, angekommen: Ein Päckchen in Buchgröße, darin das E-Book in Größe eines A5-Blocks, leichter als ein Taschenbuch (289 Gramm), mit Sechs-Zoll-Display (15 cm) und einer Handvoll Tasten: Navigationsjoystick, "Next Page", "Previous Page", "Home" etc. - und Knöpfchentastatur.

Startschwierigkeiten

Eine Beschreibung war nicht beigepackt, eigentlich erklärte sich alles von selbst, mit einem kleinen Fallstrick. Zum Aufladen wird ein USB-Kabel mit US-Netzgerät mitgeliefert; warum Amazon zwar 100 verschiedene Mobilfunknetze bespielen, aber keinen Eurostecker liefern kann, bleibt ein Rätsel. Das führte auch zur einzigen kleinen Anfangspanne: An einem iPhone-Netzteil angesteckt, lud der Kindle nicht richtig auf, was dazu führte, dass die Tasten schlecht ansprachen und die Rücksendung kurzfristig erwogen wurde. Erst als der Akku am nächsten Morgen auf seine Leere hinwies, wurde der Fehler klar, das Gerät anderswo ordnungsgemäß aufgeladen - seither funktioniert alles wie versprochen.

Lesefluss

Kommen wir zum Wesentlichen, dem Lesen langer Bücher auf dem Kindle und dem Befüllen mit Lesestoff. The Stalin Epigram von Robert Littell, im Druck 384 Seiten mit schwierigen russischen Namen, seit dem Sommer ungelesen und jetzt ein zweites Mal in digitaler Form erstanden, war zügig ausgelesen. Fast macht der Druck auf "Next Page", mit dem sich die gelesene Seite für den Bruchteil einer Sekunde in Schwarz auflöst, ehe sich daraus die Buchstaben der neuen Seite geformt haben, ein wenig süchtig, und es wirkt, als beschleunige dies das Lesen. Am Ende der Seite gibt es eine Anzeige, wie weit man im Buch vorangekommen ist, in Prozenten und als dicker werdender Strich, sowie einer Art Seitennummerierung.

Gut in der Hand

Jedenfalls lässt sich das Buch am Kindle in allen Lebenslagen leicht und gut lesen, teils leichter als schwere und große Bücher: Am Tisch, im Lehnstuhl, in der Gartenliege, im Bett, bei prallem Sonnenlicht wie bei schummriger Nachttischlampe. Die Form ist handlich und lässt sich mit einer Hand halten, mit der linken wie der rechten umblättern. Das reflektive Display der elektronischen Tinte leuchtet nicht wie ein Computerschirm, sondern reflektiert wie ein gedrucktes Buch das vorhandene Licht. Dadurch geht es sparsam mit Strom um, der Akku hält bei ausgeschaltetem Mobilfunkteil rund zwei Wochen, bei ständig eingeschaltetem Datenfunk vier Tage.

Mehr als ein Buch

Man nimmt in Kauf, dass die Schrift der Bücher immer dieselbe ist, eine Begrenzung die sich wohl mit der Evolution der Spezies nach und nach auflösen wird. Dafür bietet die Elektronik Möglichkeiten, die jedem Buch fehlen: Sechs Schriftgrößen, Text vorlesen (so Verlag oder Autor dies nicht unterbinden), Wörtersuche, Wörterbuch, elektronische Notizen. Mit Lesezeichen kann man Passagen markieren, die Stelle, an der man zuletzt war, wird immer automatisch aufgeschlagen, und das (dank Mobilfunk) auch auf anderen Kindles, die man möglicherweise an anderen Orten verwendet, oder auf dem iPhone mit Kindle-Software. Das macht Bücherlesen auch in kurzen Zeiträumen, etwa für drei U-Bahn-Stationen, sehr leicht.

Shopping

Der Einkauf ist einfach und kann sowohl vom Kindle aus als auch über Internet am PC erfolgen. Der Download erfolgt über Mobilfunk direkt aufs Gerät (auch auf mehrere), die Kosten dafür sind im Buchpreis enthalten, auch wenn man im Ausland ist. Mit einem Mobilfunkvertrag muss man sich nicht herumschlagen.

Der Preisvergleich anhand des Testbuchs: 18,50 Euro gedruckt, 9,30 Euro digital (umgerechnet), 8,82 als Audiobook (kann am Kindle gehört werden). Der Kindle selbst kostete 226,50 Euro, mit Zustellung und ordnungsgemäß verzollt.

Deutsche Titel sind noch rar

Nicht nur Bücher, auch Audiobücher, Musik und eigenes Material kann aufgespielt werden, entweder über ein USB-Kabel vom PC/ Mac oder indem man sich eine PDF-Datei an eine spezielle Kindle-Mailadresse zuschickt, dann besorgt Amazon die Formatierung und den Download. Die größte Beschränkung derzeit: Das Angebot von rund 300.000 Buchtiteln, Zeitungen und Magazinen ist fast ausschließlich englisch, also wird größeres Publikumsinteresse wohl erst mit deutschsprachigen Titeln geweckt werden können.

Koexistenz

Gedrucktes und digitales Buch werden lange Zeit, wahrscheinlich für immer eine wunderbare Koexistenz führen können: Es gibt Bücher, die man weiterhin gern im Regal haben will, und es gibt Drucke, an die der Kindle (so wenig wie Konkurrenten) noch sehr lange nicht heranreichen werden - so wie es Bücher gibt, die man Seite um Seite verschlingt. Das geht am Kindle so gut wie beim Druck, vielleicht sogar besser.

(Helmut Spudich, DER STANDARD/Printausgabe, 29.10. 2009)