Anders als beleidigte ÖVP-Funktionäre es nun verbreiten, ist es keine "Schande", dass der Bundeskanzler "sehenden Auges" auf das Agrarressort in der EU verzichtet hat, indem er bei seinem Mangel an Vertrauen in Wilhelm Molterer verharrte. Weder stand schon fest, einem Objekt Faymann'schen Misstrauens würde das Agrarressort automatisch in den Schoß fallen, noch ergab sich aus Molterers bisherigen Leistungen in politischen Heimspielen ein Anlass zur Hoffnung, er würde mit einem Transfer nach Brüssel eine ähnlich gute Vorstellung bieten wie ein Agrarkommissar Fischler. An ihn wollte man nostalgisch anknüpfen.

Umgekehrt ist es auch kein Triumph, dass der Bundeskanzler seinem Vize sehenden Auges Johannes Hahns Transfer abgetrotzt hat, der nach seinen Leistungen als Wissenschaftsminister durch eine Betrauung mit dem Agrarressort vermutlich gerechter gewürdigt wäre als mit Aufgaben im Umkreis von Forschung und Bildung - ohne dem Bauernbund nahetreten zu wollen. Die Sache war mit der Morgengabe des EU-Kommissars an die ÖVP von Anfang an verpfuscht, und jetzt soll ein Kompromisskandidat, den man sich erst mühsam zurechtloben muss, jene Ecke beziehungsweise Kante abgeben, die Faymann nach etlichen verlorenen Wahlen dem Publikum zeigen wollte. Hahn ist der Kollateralschaden aus dem Kleinkrieg, mit dem die Koalitionssparteien ihr Versprechen einzulösen vorgeben, endlich die seit Jahrzehnten brennenden Probleme der Republik gemeinsam anzugehen und zu lösen.

Ein solcher Versuch sollte wohl Josef Prölls Ankündigung sein, alle sozialen und budgetären Probleme mit einem Schlag durch die Einführung von Transferkontos in den Griff zu kriegen. Endlich solle mit der Zuordnung jeder öffentlichen Zuwendung an jede Österreicherin und jeden Österreicher Gerechtigkeit im Lande Einzug halten. Das Wie ließ er geschickt offen, aber nicht geschickt genug, um nicht sofort den Koalitionspartner auf den Plan zu rufen, der dem faustischen Erkenntnisdrang des Vizekanzlers misstrauisch gegenübersteht, weil er nicht nachvollziehen will, wie allein mit der Feststellung von Zahlen dem misslichen Zustand ein Ende bereitet werden könnte, dass die armen Reichen die reichen und auch noch undankbaren Armen durchfüttern müssen.

Philosophische Naturen in der Industriellenvereinigung entlarvten im Anschluss an Pröll den Staat als Umverteilungsmaschine, angelehnt an den Philosophen Peter Sloterdijk, der darin "ein geldsaugendes und geldspeiendes Ungeheuer" erkannt haben will - ein Grundgedanke, den Thomas Hobbes vor mehr als dreihundert Jahren mit seinem Leviathan Staat schon origineller formuliert hat. Der wusste, dass nicht die Wahrheit, sondern die Autorität das Gesetz macht, während Pröll vorgaukeln will, die aus einem persönlichen Transferkonto erfließende Wahrheit, gegen die an sich nichts einzuwenden ist, mache die Autorität überflüssig, die dann bestimmt, welche Konsequenzen gezogen werden. Er wäre glaubwürdiger, gäbe er gleich bekannt, wohin er jeweils zu transferieren gedenkt. Denn an der Umverteilungsmaschine Staat wird er nichts ändern - was sollte ein Staat denn sonst sein? (Günter Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2009)