Hat Andreas Schibany auch nur irgendwie begriffen, warum die Studierenden streiken? In seinem Plädoyer für eine "Ökonomisierung der Bildungsdebatte" (Standard, 29. 10.) stellt der Forschungsexperte des Joanneums fest, dass die Ressourcen knapp seien und was man dagegen tun könnte. Die Studierenden aber streiken nicht, weil die Ressourcen knapp sind, sondern weil sie (unter dem Vorwand, dass sie knapp wären) immer ungleicher verteilt werden.
Sie haben erkannt, dass heute genau jene Maßnahmen zu einer ungleichen Verteilung der Bildungsressourcen führen, die ursprünglich mit dem Ziel eingeführt wurden, sie gerechter zu verteilen. Darum sind die Streikenden für den Stopp der Bologna-Reform. Denn diese bringt ein Zweiklassensystem der Bildung mit sich, worin die Mehrheit der Studierenden mit der verschulten Attrappe eines Studiums abgespeist und nach drei oder vier Jahren hinausgeschmissen wird (das wird "lebenslanges Lernen" genannt - wie in George Orwells "1984", wo das Kriegsministerium als "ministry of peace" bezeichnet wird), mit dem lächerlichen Titel "Bachelor". Nur eine kleine zahlungskräftige Minderheit darf dann noch bis zum "Master" weitermachen und dabei einigermaßen erleben, was Studieren eigentlich heißt.
Diese Zweiteilung separiert nicht nur arme Studierende von wohlhabenden, sondern auch Lehre von Forschung. Unten, im Bachelor-Bereich, wird nur gelehrt und gelernt, um für subalterne Berufstätigkeit auszubilden; geforscht werden soll ausschließlich später, oben, bei den Masters, für die wenigen professionellen Forschungs- und Leitungsfunktionen. Schibanys Idee, dass Lehrende nicht nur anhand ihrer Publikationen, sondern auch anhand der Fähigkeit zur Wissensvermittlung beurteilt werden sollten, ist ganz hübsch, aber angesichts der aktuellen Situation völlig deplatziert: Denn derzeit wird europaweit versucht, eine Kaste von Lehrenden zu erzeugen, die nur noch lehren, aber überhaupt nicht mehr forschen darf, und eine Kaste von Studierenden, die nur noch von solchen Lehrsklaven unterrichtet wird.
Dabei zeigt sich, neben der sozialen Spaltung, auch ein wissenschaftstheoretisches Problem: Vielleicht ist es in technischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen eher möglich, die anwendungsorientierten Grundtechniken von den forschungsbezogenen Elementen zu trennen. Genau diese Disziplinen haben die Bachelor/Master-Struktur auch meist widerstandslos angenommen. Unmöglich ist diese Trennung aber in den freien Künsten sowie in den Kultur- und Geisteswissenschaften. Denn man kann hier das Alte immer nur mithilfe von neuem Wissen klar und brauchbar aufbereiten.
Blauäugige Vorstellung
Deshalb ist der Widerstand gegen die Bologna-Reform an einer Kunstuniversität ausgebrochen: Er richtet sich auch gegen die Unterwerfung künstlerischer und kulturwissenschaftlicher Disziplinen unter die Normen der technisch-naturwissenschaftlichen. Darum geht es in den Protesten - und nicht, wie Schibany meint, um die Anhänglichkeit an ein altes Bildungsideal.
Weiters richtet sich der Streik gegen die mit dem Uni-Gesetz 2002 unter dem Titel "Vollrechtsfähigkeit" (ein weiteres Stück von Orwell'schem "newspeak") eingeführte verstärkte Abhängigkeit der Universitäten vom Ministerium. Schibanys blauäugige Bemerkung "es spricht nichts gegen eine neuerliche Einführung von Studiengebühren, deren Höhe freilich den jeweiligen Universitäten überlassen werden sollte" bildet in dieser Situation den Schlüssel zu genau jenem Horrorszenario, das die Streikenden abzuwehren versuchen: Die Universitäten werden vom Ministerium gezwungen, die Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen; bei der Finanzierung aber überlässt man sie dann sich selbst und wundert sich noch, warum sie für die Masters plötzlich so viel Geld verlangen. Gerade wenn die Ressourcen knapp sind, wie Schibany und andere behaupten, ist es grob fahrlässig, die Universitäten zur Einführung eines teureren Systems zu veranlassen. Jeder Bäcker weiß, dass man nicht expandiert, wenn man kein Geld hat. Hat man es aber doch, dann soll man es den Unis auch geben.
Schließlich richtet sich der Streik gegen das Repressivwerden der Universitäten - die rigiden (und kostspieligen) Zwänge der Studienpläne sowie der Evaluierungen und Kontrollen, die durch die Reformen eingeführt wurden. Bis vor wenigen Jahren konnte man vielleicht noch ernsthaft glauben, dass durch solche Mittel den bildungsferneren Studierenden das Studium erleichtert und die Missbräuche der universitären Freiheit durch selbstherrliche Professoren unterbunden werden könnten. Heute behaupten das allenfalls nur noch diejenigen, die selbst an dem wachsenden Geschäftszweig des universitären "Qualitätsmanagements" verdienen.
Kontrolle und Druck verbessern nichts; sie zerstören lediglich die wichtigste Ressource einer Universität, nämlich die Motivation von Studierenden und Lehrenden. Gerade das haben die Studierenden nun deutlich gezeigt: Es ist nicht wahr, dass sie zu allem gezwungen werden möchten.
Hellsichtiger Zorn
Die Einführung der Druckmechanismen ging einher mit der Abschaffung der in den 70er Jahren erkämpften universitären Demokratie. Stattdessen bestimmen und kontrollieren nun die vom Ministerium nach politischem Proporzprinzip besetzten Uni-Räte. Für die Wirksamkeit dieses Durchgriffssystem ist es allerdings wichtig, dass es scheinautonome, verschleiernde Zwischenglieder gibt: Solche Befehlsketten sind umso stärker, je mehr schwache Glieder sie aufweisen. Das konnte zuletzt an der Akademie der Bildenden Künste wie im Lehrbeispiel beobachtet werden: Das Ministerium will die Einführung der "Bachelor/Master" -Struktur erzwingen; Studierende und Lehrende sind dagegen; dazwischen wackelt ein Rektor. Stark ist diese Kette deshalb, weil das Ministerium, sobald der Rektor nachgibt, jede Verantwortung von sich weisen kann, wohingegen der Rektor seinerseits dann alles auf das Ministerium schiebt. Und sollten Studierende, Lehrende und Rektor sich einmal einig sein, dann kann der Uni-Rat immer noch alles verhindern und dem Ministerium zur dankbaren Rolle des unbeteiligten Zuschauers verhelfen.
Auch gegen diese Vernebelungsnummer hat sich der hellsichtige Zorn der Studierenden gerichtet. Nun kann sich allerdings niemand mehr verstecken. Wer jetzt nicht sofort energisch dafür eintritt, das Universitätsgesetz 2002 rückgängig zu machen, die Universitätsräte nach Hause zu schicken, die Bologna-Reform zu stoppen, wo sie schadet, und die Demokratie an den Universitäten wieder herzustellen, zählt entweder selbst zu den Profiteuren dieser Entwicklungen - oder braucht sich nicht zu wundern, wenn er von jungen Leuten nicht mehr gewählt wird. (Robert Pfaller, DER STANDARD, Printausgabe, 30.10.2009)